Flachsrösten - 17 Flachsfaulgruben entlang eines Wirtschaftsweges im östlichen Auebereich der Nette (161)

Listenart: Bodendenkmal, industrielle Denkmäler
Listen-Nummer036
eingetragen seit09.09.2014
Flur / Flurstück10/ 140*, 141*, 142*, 143*, 144*, 145*, 146*, 147*, 148, 149*, 262*, 277*, 278*, 359* (*tlw.)
AnschriftWaldweg, Viersen - Boisheim

Beschreibung
An der westlichen Stadtgrenze von Viersen, in der Ortschaft Boisheim, erstreckt auf einer Stecke von über 320 m eine Reihe von Flachfaulgruben. In dem mit Erlen und anderen Laubbaumarten bewachsenen Auebereich der Nette konnten bei einer Begegnung 17 Flachsgruben erfasst werden. Die Gruben haben eine rechteckige Form von unterschiedlichen Maßen. An der Südecke liegen zwei Gruben mit einer Seitenlänge 3,00 x 3,00 m. Die Grube Nr. 45 hat dagegen eine Seitenlänge von ca. 5,00 x 6,00 m. Alle Faulgruben liegen an einem stark verschliffenen Waldwirtschaftweg, 11 Gruben an der Westseite, 6 Gruben an der Ostseite. Eine Verbindung zwischen Faulgruben bestand durch einen Wassergraben, der aber heute nur noch in Teilbereichen vorhanden ist. Diese Anlage hat man der Grenze zwischen dem trockneren Siedlungsbereich und der Aue angelegt. So sind die zur Ostseite liegenden Flachgruben teileweise trocken gefallen (Nr. 46 und 59). Die anderen Gruben führten zum Zeitpunkt der Begehung noch Wasser. Eine leichte Verlandung und verstärkter Bewuchs der Gruben ist erkennbar. Kennzeichnend ist der weitgehend bis heute erhaltene recheckige Grundriss.

Archäologische Situation und Befunderwartung
Solche wassergefüllten Gruben dienten der Flachsbereitung. Nach der Ernte wurden die Stängel gebündelt und in das Wasser dieser Gruben gesenkt. Nachdem man sie zugedeckt hatte, ließ man die Pflanzen etwa zwei Wochen im Wasser faulen. So löste sich die spinnbare Faser vom holzigen Kern des Stängels. Die Dauer des Röstens (von rotten, faulen) war temperaturabhängig. Ein Überrösten hätte die Faser mürbe und unbrauchbar gemacht. Aus diesem Grunde war es sinnvoll, eine Vielzahl kleiner, eng benachbarter Gruben zu benutzen. Einzelne große Gruben hätten die Arbeitskräfte eines bäuerlichen Betriebes nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit leeren können. Ein Überrösten und Verderben des Flachses wären die Folgen gewesen. Kleinere Gruben dagegen erlaubten es, sich die Arbeit genau einzuteilen. Flachsrösten findet man fast ausschließlich in vernässten, zum Teil auch in anmoorigen Niederungen Kleinere Anlagen gruppieren sich aus 5 bis 10 Gruben, doch kommen auch Flachsrösten vor, die sich aus 50 bis 100 Gruben zusammensetzen.

Für das Rösten des Flachses Flachsrösten galt stehendes, gegen den Lebensraum der Fische abgeschlossenes Wasser als brauchbar, weil das Rösten in natürlichen Gewässern Fischsterben auslöste. Während des Fäulnisprozesses entwickelte sich ein Gestank, der die Luft der Umgebung weithin verpestete. Aus diesem Grunde wählte man für Flachsgrubenanlagen Standorte, die von den Ortslagen der Dörfer entfernt lagen.

Historische Grundlagen
Im Raum Mönchengladbach – Viersen ist der Flachsanbau seit dem 13. Jahrhundert überliefert, im Kempen bestand 1563 eine eigene Leinweberzunft. Unter der französischen Herrschaft erreichte die Leinenherstellung ihren Höhepunkt, da die Zugehörigkeit zum französischen Kaiserreich neue Räume und Märkte öffnete und zugleich die Kontinentalsperre die Erzeugnisse der britischen Konkurrenten fern hielt Der Anbau von Flachs und seine Verarbeitung gehörten zur bäuerlichen Kultur in Bereich der Niers, Nette und Schwalm bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Denkmalrechtliche Begründung
Mit dem Begriff Flachsgruben werden Standorte der weitgehend ausgestorbenen Flachsgewinnung bezeichnet. Solche Faulgruben oder Flachsrösten dokumentieren einen Teilbereich des alten Leinenhandwerks in seinen technischen Einzelheiten wie auch in seiner räumlichen Verbreitung. Sie stellen in ihrer Gesamtheit Bodendenkmäler dar, denn sie dokumentieren das Wirtschaften der Landbevölkerung in den waldreichen, feuchten Niederungen, die zu Gewinnzwecken für den gewerblichen Bedarf Flachs anbauten und verarbeiteten. Flachrösten sind ein Element der niederrheinischen Kulturlandschaft. Sei unterstreichen deutlich die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Textilgewerbes in der Geschichte de Rheinlandes.

Die denkmalrechtliche Bedeutung der Flachsgruben für die Menschheitsgeschichte liegt zum weiteren darin, dass sie über Umfang und Verbreitung der Flachsbrecherei sowie über die angewandten Verarbeitungstechniken zu informieren vermögen. Zum anderen bilden sie eine der Grundlagen, aus denen wir die Entwicklung der Bewirtschaftung sowie der Arbeits- und Produktionsverhältnisse im agrarisch ländlichen Raum erschließen können. Sie enthalten nach den bisherigen Erkenntnissen im Erdreich umfangreiches Material zur wissenschaftlichen Auswertung in Form von Sedimentschichten mit zahlreichem organischem Material. Archäologische und archäobotanische Untersuchungsmethoden bieten die Möglichkeit nachzuweisen, wann und über welchen Zeitraum hier die Flachsherstellung stattfand, zudem dokumentieren sie die Lebens- und Arbeitsweisen der ländlichen Bevölkerung.

Die Flachsgruben bei Viersen-Boisheim und die im Untergrund erhaltenen archäologischen Zeugnisse sowie der sie umgebende und einschließende Boden, sind als Mehrheiten von Sachen, die in einem funktionellen Zusammenhang stehen, bedeutend für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Viersen und dem Niers – Nette – Schwalmgebiet. Sie erfüllen die Vorraussetzungen nach § 2 DSchG NRW zum Eintrag als ortsfestes Bodendenkmal in die Liste der geschützten Denkmäler. An ihrem Schutz und ihrer Erhaltung besteht ein öffentliches Interesse.

Literatur
Thomas Krüger: „Spuren der Flachsverarbeitung in der Landschaft des linken Niederrheins“, Bonner Jahrbuch 186, 1986, Seite 523-533.

Helmut Luley und Wolfgang Wegener: „Archäologische Denkmäler im Wald und ihre Gefährdung“ in: Materialien zur Bodendenkmalpflege 5, 1995, Seite 3.

LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, Video „Bäuerliche Flachskultur, 1978/1980“, LVR –Zentrum für Medien und Bildung, Düsseldorf 2013.

Stand
21.10.2013

Wolfgang Wegener
Wissenschaftlicher Referent
LVR/ Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland

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