Evangelische Volksschule Rintgen

Listenart: Baudenkmal, öffentliche Denkmäler
Listen-Nummer459
Baujahr1909
eingetragen seit30.08.2005
Flur / Flurstück101/456
AnschriftAm Alten Gymnasium 6, Viersen - Viersen

Ortstermin: 5. Juli 2000

Baujahr: 1909 (Baupläne datiert 11.03.1909; Einweihung: 03.01.1910)
Architekt: Stadtbauamt Eugen Frielingsdorf
Bauherr: Stadt Viersen
Ursprüngliche Nutzung: Evangelische Volksschule

Geschichte
Die seit 1705 als private Schule der evangelischen Gemeinde in Rintgen bestehende Schule wurde 1855 von der Stadt übernommen. Das Schulgebäude befand sich seitdem neben der evangelischen Kirche, gegenüber der Wilhelmstraße. Mackes nennt für 1874 ein Schulgebäude an der Wilhelmstraße. Das hier behandelte Gebäude ist ein Neubau von 1909, im rückwärtigen Hof des damaligen Gymnasiums gelegen.
Weitere evangelische Volkschulen im Stadtgebiet bestanden 1909 in Hamm (seit 1886), in Unterbeberich (seit 1896) und an der Gerberstraße (seit 1904).
Eine erste Planung 1908 hatte ein etwa doppelt so großes Gebäude mit acht Klassenräumen vorgesehen, von dem zunächst nur eine Hälfte samt des gemeinsamen Eingangsrisalits in der Mitte errichtet werden sollte. Ausgeführt wurde dann aber zunächst der ursprüngliche Erweiterungsbau (ohne den Eingangsrisaliten) mit vier Schulräumen. Der vorgesehene Weiterbau hat nie statt gefunden. Statt dessen wurden 1935 zwei zusätzliche Klassen im Dachgeschoss eingebaut.

Beschreibung
Es handelt sich um ein über hohem Sockelgeschoss zweigeschossiges Gebäude, auf querrechteckigem Grundriss mit teilweise abgewalmtem Steildach. Sockel- und Erdgeschoss bis halbe Höhe sind verklinkert. Der ursprünglich wohl helle Putz darüber ist derzeit durch einen dunklen Rauhputz ersetzt.
An der südwestlichen Längsseite ist eine Hälfte der Fassade als Risalit geringfügig vor die Flucht gezogen und endet mit einem Schweifgiebel. Durch den vorgesehenen zweiten Bauabschnitt hätte dieser Risalit ein Pendant auf der anderen Eckseite bekommen, ein weiterer Eingangsrisalit hätte auf der anderen Längsseite die Mitte betont. So hat der Baukörper seine asymmetrische Form und Erschließung bis heute behalten. Die mittig angeordnete Fensterachse des Risalits, in einem stehenden Oval-Okulus endend, markiert das dahinter liegende Treppenhaus.
Auf der nordöstlichen Längsseite kennzeichnen sechs, zu zwei Dreiergruppen zusammengefasste Fensterachsen die Klassenräume. Dies hätte die Hauptfassade werden sollen, gerichtet zum Verbindungsweg zwischen Wilhelm- und Heimbachstraße. Die Fenster auf der Rückseite sind als Flurfenster schmaler. Eck- und Mittellisenen, in der Ausführungszeichnung von 1910 dargestellt, sind derzeit nur noch schwach erkennbar. Der Zugang erfolgt heute ebenerdig von der südlichen Schmalseite aus (der Eingang an der nördlichen Schmalseite, noch mit originaler Tür, liegt erhöht auf Erdgeschossniveau und wäre bei einem Weiterbau zum Flurdurchgang geworden).
Man betritt das Innere durch eine originale zweiflügelige Holztür mit kleinen Fenstereinsätzen und Oberlicht. An den Glaseinsätzen der Tür sind, wie auch an einigen Fenstern, schmiedeeiserne Ziervergitterungen angebracht. Im Inneren sind innen neben dem einhüftigen Grundriss und Fenstern das Treppenhaus mit Steinstufen und Metallgeländer sowie alte Türrahmen erhalten.

Architekturgeschichtliche Würdigung und Denkmalwert
Die nicht mehr historistische, in sachlicher Weise jedoch weiter mit traditionellen Baukörpergliederungen und Formen arbeitende Gestaltung des Außenbaus entspricht der üblichen Praxis gemäßigt-konservativer Reformarchitektur vor dem Ersten Weltkrieg. Zwar blieb der Bau ein Torso, und die ursprüngliche Außengliederung ist zur Zeit etwas beeinträchtigt, die ursprüngliche Gestaltungsabsicht ist aber nach wie vor vorhanden und ablesbar. Fenster und ihre Teilung tragen dazu wesentlich bei.
Gemäßigte Reformvorstellungen prägen auch die Grundrissanordnung. Dass die Klassenräume aus städtebaulichen Gründen nach (Nord-) Osten ausgerichtet sind, widerspricht auch damals schon bekannten Erkenntnissen über deren optimale Belichtung. Die Einhüftigkeit (direkt belichteter Seitenflur statt dunklem Mittelflur) ist hingegen bemerkenswert fortschrittlich.
Eugen Frielingsdorf (1869-1946) war von 1906 bis 1934 der erste Stadtbaurat in Viersen. Zahlreiche öffentliche Gebäude der seinerzeit wachsenden Stadt stammen aus seinem Büro, darunter neben der Festhalle auch zahlreiche Schulbauten. Die evangelische Schule steht zeitlich und auch gestalterisch zwischen der Schule Klosterstraße (1908) und der Körnerschule (1914), deren Abstand voneinander Werner Mellen so beschreibt: „Der achsiale Aufbau der Schule Klosterstraße wird an der Körnerstraße abgelöst von einer freieren Grundrißdisposition, der relativ reiche Fassadenschmuck mit leichten Anklängen von Jugendstilmotiven weicht zurückhaltenden Putzgliederungen in der Fassade der Körnerschule."
Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war in Viersen wie vielerorts eine Hochphase des Schulbaus. 1930 musste die Verwaltung andererseits (im Buch Deutschlands Städtebau: Viersen, Dülken, Süchteln) feststellen, dass nach dem Krieg in Viersen keine nennenswerten baulichen Entwicklungen auf diesem Gebiet mehr statt gefunden hatten. Erst die Grundschule in Hamm brachte wieder einen zeitgemäßen Neubau, dessen bemerkenswerte architektonische Gestaltung durch Willy Esser im Vergleich mit u.a. der evangelischen Schule Wilhelmstraße einen auffälligen architektonischen Wandel verdeutlicht.
Als ehemalige evangelische Volksschule im Zentrum Viersens ist das Gebäude Wilhelmstraße 12 bedeutend für Viersen. An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht ein öffentliches Interesse aus den genannten wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und schulentwicklungsgeschichtlichen Gründen. Sie ist daher ein Baudenkmal gemäß §2 (1) Denkmalschutzgesetz NW.

Literatur
F.W. Lohmann: Geschichte der Stadt Viersen. Viersen 1913.
Viersen, Dülken, Süchteln. Bearb.: Stadtbaurat Frielingsdorf, ( = Deutschlands Städtebau), 2. Auflage, Berlin 1930.
Evangelische Gemeinde Viersen 1705-1955. o.O./o.J. (1955).
Rheinischer Städteatlas Nr. 34: Viersen. Bearb.: Karl. L. Mackes, Köln 1980.
Werner Mellen: Eugen Frielingsdorf (1869-1946). Viersens erster Stadtbaurat, in: Heimatbuch Kreis Viersen 37 (1986), Seite 211-221.

Stand
Landschaftsverband Rheinland/Rheinisches Amt für Denkmalpflege
4.8.2000

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