Katholische Pfarrkirche St. Remigius mit Kirchhof und Friedhof

Listenart: Bodendenkmal, religiöse Denkmäler
Listen-Nummer033
eingetragen seit19.06.2013
Flur / Flurstück89/ 276*; 277, 637*, 638* (*tlw.)
AnschriftRemigiusplatz, Viersen - Viersen

Beschreibung
Im Zentrum der Stadt Viersen steht nördlich des Dorferbaches an einer leicht nach Norden ansteigenden Hangkante die Kirche St. Remigius. Nach Südwesten schließt der alte Markt an, Mittelpunkt mehrerer Reihensiedlungen seit dem 13. Jahrhundert. Bei der heutigen Kirche handelt es sich um eine spätgotische, gewölbte Staffelkirche (Clasen, Seite 11), deren Dach im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und die man am Ende der 40er Jahre/Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut hat. Der ca. 48 m x 25 m Kirchenbau, aus Tuffstein und Ziegel errichtet, ist ostwestlich ausgerichtet mit einem großen Chor und vorspringendem Turm an der Westseite. Rund um die Kirche bestand bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Kirchhof mit den Grabstätten, danach fand eine Verlagerung an die Ostseite statt. Auf diesem Friedhof, der heute ebenfalls nicht mehr belegt wird, stehen mehrere alte Grabsteine. An der Westseite der Kirche ist die Fläche heute modern als Platz gestaltet und mit einzelnen Bäumen bestanden.

Historische Grundlagen
Im Hochmittelalter existierten im Bereich Viersen zunächst sieben Reihensiedlungen, die seit dem 13. Jahrhundert zum Kirchspiel Viersen gehörten. Grundherr war seit dem 10. Jahrhundert das Kölner Stift St. Gereon und blieb dies auch bis zum Ende des Alten Reiches. Die Vogtei hatten zunächst die Grafen von Jülich inne, bis sie 1288 an die Grafen Geldern über ging. Die Kirche St. Remigius wird Anfang der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Quellen genannt, so in einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg. Der alte Kirchenbau wurde spätestens Ende des 15. Jahrhunderts durch eine neue, spätgotische Kirche ersetzt. „Es entstand eine dreischiffige Hallenkirche mit erhöhtem Mittelschiff, querrechteckigem Chor und dreiseitig geschlossener Apsis.“ (Claßen, Seite 14). 1690 erfolgte der Einsturz zweier Arkadenpfeiler, die auf den romanischen Fundamenten standen. 1701 – 1703 erfolgte der Wiederaufbau sowie in den Jahrzehnten danach immer wieder Erneuerungen bis 1926. Durch Fliegerangriffe wurde 1945 der Dachstuhl getroffen und in Brand gesetzt, die herabstürzenden Balken zerstörten die Decken. Vor dem Wiederaufbau konnten archäologische Untersuchungen stattfinden, bei denen die bereits 1941 angetroffenen Mauerfundamente der romanischen Vorgängerkirche näher untersucht werden konnten (Bericht W. Strotmann 1947, OA 2179 008).

Archäologische Situation und Befunderwartung
Erste Hinweise auf die romanische Vorgängerkirche sind bei Instandsetzungsarbeiten 1928/29 gemacht worden und führten zur Entdeckung des romanischen Chores. Über die Grabungen 1941 berichtet W. Zimmermann im Bonner Jahrbuch, Band 149, 1949: „Im Jahre 1941 sollte der Chor der Kirche höher gelegt werden. Bei dieser Gelegenheit suchte man nach Spuren einer älteren Kirche und fand 28 cm unter dem Fußboden die Fundamente einer im Halbrund geschlossenen Apsis von 244 cm im lichten Durchmesser. Das aufgehende Mauerwerk setzte 54 - 56 cm unter Fußbodenhöhe an und hatte eine Dicke von 103 cm. Das Sockelprofil auf der Außenseite bestand aus einfachem Wulst, die Achse war gegenüber der heutigen Kirche um 129 cm nach Süden verschoben. Das Nordende des Halbrunds sprang um etwa 40 cm zurück. Dieser Rücksprung konnte am Südende nicht mehr beobachtet werden, da hier die Fundamentierung des gotischen Pfeilers den Befund gestört hatte. Jedenfalls endete auch hier die Apsis durch einen Rücksprung, der dann seine Fortsetzung in der bereits oben erwähnten Fundamentbank unter der heutigen Pfeilerreihe des Mittelschiffes fand. Die Ausgrabung wurde 180 cm tief geführt. Das Mauerwerk bestand aus einer Füllung von Kalkmörtel mit römischen Ziegelbrocken und Feldsteinen. Dieser Kern war mit sauber gefügten Tuffsteinen verblendet, deren Schichthöhe 16 und 12 cm betrug. Die Grundmauern enthalten wie bei der Apsis einen Kern aus Gußmauerwerk, bestehend aus Kalk mit scharfen Sand, vermischt mit Feldsteinen, Tuffsteinbrocken und Bruchstücken von römischen Ziegeln. Dieser Kern zeigte auf beiden Seiten eine Verblendung von sorgfältig geschichteten größeren Feldsteinen. Darüber liegen nach einem Einsprung von 10 - 15 cm die Schichten aus Tuffsteinen (Format etwa 23 x 26 x 10,5 cm). Auf dieser durchgehenden Fundamentbank waren die Sockel von je 5 Pfeilern zu erkennen, abwechselnd bestehend aus Rechtecken von 128 x 115 cm und 175 x 123 cm. Die letzten hatten zum Mittelschiff rechteckige Vorlagen von 83 x 24 cm. Spuren eines Fußboden wurden nicht beobachtet. Auch wurden keine Reste einer noch älteren Anlage gefunden, obwohl man in Höhe des 5. Pfeilers von Westen einen Suchgraben durch die Kirche legte, der bis auf den gewachsenen Boden ausgehoben wurde. Nach Westen schloss die Kirche geradlinig ab. Vor die Westmauer war anscheinend nachträglich ein unregelmäßig viereckiger Turm angefügt worden, dessen Südwand in der Südwand des heutigen Turmes steckt. Seine Achse weicht von der des romanischen Schiffs um 54 cm nach Süden ab. Die Mauerdicke beträgt 110 cm. Das Mauerwerk besteht aus kleineren Feldsteinen, die sorgfältig und glatt geschichtet sind, nach beiderseitigem Rücksprung von 6 - 8 cm aus Tuffsteinschichten. Demgegenüber zeigte die Westmauer des Schiffs hier große Feldsteine mit Tuffbrocken und kantigen Steinen.“ (Seite 373)

Eine weitere Untersuchung erfolgte 1982 im Zusammenhang mit dem Einbau einer Heizungsanlage in der neuen Kirche. Dabei legte man wiederum die Fundamente der romanischen und der Kirche des 12. Jahrhunderts frei. In den vorhandenen Fundamenten der romanischen Kirche fanden sich auch römische Spolien und Keramik bzw. Ziegelscherben. Innerhalb dieser Kirche und auch außerhalb fanden sich 27 Körperbestattungen, bei 5 fanden sich auch Beigaben. Anhand von Funden, auch Messgewandresten, konnten sechs Grablegungen als Priesterbestattungen identifiziert werden.

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand und in Analogie zu vergleichbaren Kirchen und Kirchhöfen, wie die archäologisch untersuchte Kirche und der Kirchhof von Inden, Kreis Düren, existieren im Schutzbereich umfangreiche materielle Hinterlassenschaften in Form von Fundamenten der Vorgängerbauten und Grablegungen sowie innerhalb des Kirchhofes und dessen Erweiterung im 19. Jahrhundert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Grablegungen, gegebenenfalls mit Skelettresten.

Denkmalrechtliche Begründung
Die Kirche St. Remigius in Viersen und der ehemalige Kirchhof mit einer Friedhofserweiterung  gehören aus bodendenkmalpflegerischer Sicht zu den bedeutenden Zeugnissen hoch- bis spätmittelalterlichen Kirchenbaues am Niederrhein.

Die erhaltenen Fundamente einzelner Aus- und Umbauphasen tragen die Informationen zur Geschichte der Kirche, ihrer baulichen Entwicklung und Nutzungen. Auf dem Kirchhof wurden Bewohner des Ortes bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestattet. Diese Bestattungen stellen somit eine bedeutende Quelle zur Geschichte der Bewohner des Ortes dar. Mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen der menschlichen Überreste sind Lebensumstände, Sterbealter, Krankheiten und Sozialstrukturen zu bestimmen. Weiterhin haben sich im Laufe der Jahrhunderte innerhalb des Kirchenbezirkes verschiedene Siedlungsschichten abgelagert, die als einzelne Straten zu erkennen sind und ein archäologisches Archiv der Entwicklung und Geschichte der Kirche und der Grablegungen darstellen. Jede einzelne Schicht liefert spezifische Informationen; in Brand- und Schutthorizonten werden Schadensfeuer und kriegerische Zerstörungen sichtbar.

Aufgrund der zentralen Bedeutung der christlichen Religion in unserem Kulturkreis bildete die Kirche mit dem Friedhof einen der Mittelpunkte des öffentlichen Lebens, der die Gestalt des Ortes und seine historische Entwicklung entscheidend bestimmte. Das Alter und die Anzahl der Bestattungen, die Bestattungsweise, die stratigrafischen Beziehungen zwischen den Gräbern sowie die Überreste der Bestatteten sind geeignet, Auskunft über den Ablauf der Belegung und über die Lebensbedingungen der Menschen zu geben. Bei guter Erhaltung des Gesamtbefundes lassen sich über anthropologische Analysen z.B. Aussagen über Seuchen und Epidemien (Pest, Diphterie) machen, sowie Alter, Geschlecht, Verletzungen oder Krankheiten der Bestatteten bestimmen.

Die archäologischen Quellen und ihr Verhältnis zueinander sind in besonderem Maße dazu geeignet, die historische Entwicklung der Viersener Kirche zu dokumentieren und zahlreiche - historisch nicht zu klärende - Fragen zu beantworten. Die im Untergrund erhaltenen archäologischen Zeugnisse in Form von Mauerresten und Gräbern sowie der sie umgebende und einschließende Boden, sind als Mehrheiten von Sachen, die in einem funktionellen Zusammenhang stehen, bedeutend für die hoch- und spätmittelalterliche Siedlungs- und Kirchengeschichte des Niederrheins und der Geschichte der Stadt Viersen.

Für den Schutz und Erhalt der Kirche und des Kirchhofes stehen wissenschaftliche Gründe im Vordergrund, da sich an den erhaltenen Zeugnissen im Boden noch offene Fragen zu den Bestattungsriten und der Baugeschichte der Kirche klären lassen. Sie erfüllen die Voraussetzungen nach § 2 DSchG NW zum Eintrag in die Liste der geschützten Denkmäler. Für die Erhaltung und den Schutz stehen wissenschaftlich landeskundliche, anthropologische, volkskundliche und baugeschichtliche Belange im Vordergrund, es besteht ein öffentliches Interesse.

Schutzbereich
Der Schutzbereich umfasst den Bereich der heutigen Kirche, des ehemaligen Kirchhofes und der Friedhoferweiterung des 19. Jahrhunderts.

Literatur/Quellen
W. Zimmermann, Ausgrabungen in der Pfarrkirche St. Remigius in Viersen, in: W. Neuss, Rheinische Kirchen im Wiederaufbau (1951), Seite 97ff.

W. Zimmermann, Viersen, in:  Bonner Jahrbuch 149, 1949, 372 – 374.

C.-W. Claßen, Viersen, in: Die Denkmäler des Rheinlandes, (1964), Seite 11 – 19.

H.-P. Storch, Fränkische und romanische Baubefunde in der Kirche St. Remigius zu Viersen. Ausgrabungen im Rheinland 81/82, Seite 185 – 187.

M. Deußen, Viersen. Rheinischer Städteatlas, Lieferung VI. Nr. 34, 1980.

Karten
Bezirksregierung Köln, Geobasis NRW (Landesvermessungsamt); Topografische Karte 1:25 000, Uraufnahme, Blatt 4704 von 1844.

Stand
22.03.2013

Wolfgang Wegener
Wissenschaftlicher Referent
LVR/ Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland

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