Lateinschule Viersen, später Humanistisches Gymnasium Viersen

Listenart: Baudenkmal, öffentliche Denkmäler
Listen-Nummer462
Baujahr1875/76; 1930 (Umbau Turnhalle)
eingetragen seit30.08.2005
Flur / Flurstück101/449,450
AnschriftWilhelmstraße 12/Am Alten Gymnasium 4, Viersen - Viersen

Geschichte
Während F.W. Lohmann in seiner Chronik „Geschichte der Stadt Viersen" bereits auf eine Stiftung aus dem Jahr 1555 für eine höhere oder Lateinschule verweist, ist der erste Beleg einer Lateinschule in Viersen in Form einer Stiftung im Städteatlas „Viersen" von Karl Mackes auf 1654 datiert. Diese befindet sich bis 1815 in einem Gebäude am Kirchplatz, von 1853 bis 76 an der Rektoratstraße. In der Wilhelmstraße verbleibt die Schule bis 1980, erst seit 1882 als Realprogymnasium, ab 1894 als Progymnasium, ab 1901 als Vollgymnasium und schließlich ab 1974 als Humanistisches Gymnasium. Danach dient das Gebäude als Verwaltungssitz. „Die beiden von früher her bestehenden höheren Privat-Knabenschulen konnten auf die Dauer dem Bedürfnis und den Anforderungen der Bürgerschaft nicht mehr genügen. Die Bürgersöhne wünschten wenigstens den Abschluss ihrer Ausbildung in der Berechtigung zum sog. „Einjährigen" am Orte erreichen zu können, und die Regierung drängte zur Er-richtung einer paritätischen städtischen höheren Bürgerschule" schreibt F.W. Lohmann in seiner Chronik. Ferner führt er aus: „Am 27. Juli 1875 wurde in der Wilhelmstraße der Grundstein zum Bau des heutigen Schulhauses gelegt. „welches die Viersener Jugend in sich versammeln soll, damit sie erzogen werde in guter Zucht und Sitte und unterrichtet in dem, was ihr, der Stadt und dem Staat zu Nutz und Frommen gereichen möge". Der Bau kostete 120000 Mark, der Bauplatz 17817 MK. Nach dem durch Ministerialreskript vom 18. Januar 1876 genehmigten Statut besteht das Kuratorium der Anstalt aus dem vorsitzenden Bürgermeister, dem Direktor und neun vom Stadtrat zu wählende, sechs katholischen und drei evangelischen Mitgliedern. Erster Leiter der Anstalt wurde Dr. Thomé aus Köln. Aus der früheren katholischen Rektoratschule kamen 29, aus der evangelischen 15, und 51 Schüler aus anderen Schulen, insgesamt 88 aus Viersen und 17 aus der Umgegend."Am 23. September 1876 wird die Schule feierlich eröffnet.

Beschreibung
Es handelt sich um ein zweiflügeliges Backsteingebäude zu zwei Geschossen über durchfenstertem Sockelgeschoss. Auf alten Fotos noch erkennbar, liegt von der Wilhelmstraße etwas zurückgesetzt, die heute nicht mehr vorhandene Einfriedungsmauer. Ebenso fehlen einige Gauben und ornamentierte Schornsteinköpfe auf dem Walmdach. Die Fassaden zur Wilhelmstraße und an der Stadtseite sind durch farbig (gelb bzw. dunkel) abgesetzte Lisenen, Spitzbogen-Trauffriese, Backsteinbänder sowie Stockgesimse, Fensterstürze, Eckwarte sowie übergiebelte Mittelachsen verhältnismäßig stark gegliedert. Dies reicht bis hin zu den erhaltenen historischen Mörtelfugen, die als kleine Wulste ausgebildet sind. Die Fensteröffnungen sind segmentbogig in die Wand eingeschnitten.Die steilen Giebelflächen der Mittelachsen sind in markanter Weise mit steigenden Spitzbogenblenden, die mittlere lanzettartig überhöht, gefüllt und schließen mit einem rechteckigen Akroter.Die Fassade zur Wilhelmstraße öffnet sich in zehn Fensterachsen, die zwei mittleren als übergiebelte Mittenbetonung zusammengerückt und mit segmentbogigem Eingang im Erdgeschoss. Ein doppelter Zahnfries („Deutsches Band") trennt Erd- und Obergeschoss. Im Giebelfeld ist eine Platte mit dem Stadtwappen und der Jahreszahl 1876 angebracht.Die seitliche Fassade gliedert sich in zwölf Fensterachsen, von denen die mittleren sechs zu von Lisenen begleiteten Zweierpaaren zusammengerückt sind. An Stelle des Wappenfeldes trägt der Giebel hier ein kleines Rundbogenfensterchen.Die rückwärtigen Wandflächen sind wie üblich schlicht, im Wesentlichen ohne ornamentale Gliederung ausgebildet.Fenster und Eingangstüren sind erneuert, die Fenster zeigen angemessene Kreuzstockunterteilung.Im Inneren ist der ursprüngliche Grundriss in seinen Grundzügen mit Mittelgang und rückwärtigem Treppenhaus im Winkel der beiden Flügel erhalten. Das Treppenhaus ist seitlich und zu den Fluren in Spitzbögen geöffnet.

Anbauten/Nebengebäude
1952/53 erhält die Schule von der Wilhelmstraße aus gesehen rechts einen bis zur Straße vorgezogenen Anbau für naturwissenschaftliche Räume und Hausmeisterwohnung (Architekt: August Reiners, Viersen).Dieser ist ohne Denkmalwert. Auf dem rückwärtigen Gelände befindet sich eine eingeschossige Turnhalle mit flachem Satteldach. Im Kern gehört sie als Aula wohl zum Ursprungsbau bzw. wird wenig später errichtet. Der heutige Zustand geht im Wesentlichen auf einen Umbau aus dem Jahr 1930 zurück (Bauunternehmung Freihoff & Rutsch). Die Fassade zum Hof ist durch Lisenen und hochrechteckige Fenster einfach aber fein gegliedert. Die zweiflügelige Eingangstür mit horizontal unterteilten Fenstereinsätzen sowie die charakteristisch kleinteilig gesprossten Fenster stammen wohl noch aus dem Umbau 1930. Die gut gestaltete Turnhalle war funktionaler Bestandteil der Schule und ist als historisches Gebäude erhalten. Sie ist einschließlich ihres niedrigen Sanitär-Anbaus daher Teil des Denkmals ehemaliges Gymnasium Wilhelmstraße.

Denkmalwert
Die Wilhelmstraße repräsentiert in Verlauf und Bausubstanz die Entwicklung Viersens als einer rasch wachsenden Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Städtebaulich gesehen sind die geraden Straßenzüge beiderseits der Hauptstraße mit ihrer großen Zahl historistischer Bauten ein wesentliches Charakteristikum Viersens. Grundlage hierfür ist der Stadtbauplan von 1858/60, auf den auch die Wilhelmstraße zurückgeht.Anhand der erhaltenen zeitgenössischen Pläne ist die Bebauung der Straße im Wesentlichen in den 1870er Jahren entstanden. Ein Großteil dieser Bauten ist heute noch erhalten und verleiht der Straße ein sehr anschauliches historisches Gepräge.Als ehemaliges Gymnasium der Stadt Viersen in der Nachfolge der seit dem 17. Jahrhundert sicher belegten Lateinschule ist das Gebäude Wilhelmstraße 12 bedeutend für Viersen.Da es in seiner qualitätvollen historisierenden Gestaltung im Wesentlichen substanziell und anschaulich erhalten ist, besteht an der Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse aus wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und ortsgeschichtlichen Gründen. Als größtes Gebäude und gleichsam Mittelpunkt des Ensembles Wilhelmstraße kommt ihm zudem städtebauliche Bedeutung zu. Es ist daher einschließlich seiner Turnhalle gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz ein Baudenkmal.

Literatur
F.W. Lohmann: Geschichte der Stadt Viersen. Viersen 1913, Seite 446-453 (Anfänge der Lateinschule), Seite 880-882 (Wilhelmstraße).
Rheinischer Städteatlas Nr. 34: Viersen. Bearb.: Karl L. Mackes, Köln 1980.

Quellen
Akte Wilhelmstraße 12
FB 60/II Bauordnung
Akte Wilhelmstraße 12
FB 80/III Denkmalpflege

Stand
FB 80/III Zentrale Bauverwaltung -Untere Denkmalbehörde-
Viersen, den 20.11.2000

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