Alte Leichenhalle Friedhof Dülken

Listenart: Baudenkmal, religiöse Denkmäler, öffentliche Denkmäler
Listen-Nummer471
Baujahr1876
eingetragen seit04.12.2007
Flur / Flurstück31/34
AnschriftArnoldstraße 48, Viersen - Dülken

Geschichte
Die ehemalige Leichenhalle mit Totengräberwohnung in Dülken befindet sich am westlichen Ende des 1873 neu angelegten dritten Friedhofs der Stadt (Kommunal-Friedhof). Das in das Jahr 1876 datierte (Inschrift über Portal der Leichenhalle) anspruchsvolle neugotische Backsteingebäude ist im Zusammenhang zu sehen mit der Gründung des Friedhofs. Die Anlage eines neuen Friedhofs 1873 trug dem raschen Wachstum Rechnung, den die Stadt Dülken zwischen 1830 und 1900 aufgrund ihrer Bedeutung als Industriestandort erlebte. 1826/30 war der erste Friedhof an der Kirche aufgelassen worden. Den zweiten Friedhof gründete man wenige hundert Meter nördlich der alten Stadtmauer, weil aus hygienischen Gründen die Toten nicht mehr innerhalb der Stadt beigesetzt werden sollten. Die Errichtung des Bahnhofs nördlich der Stadt im Jahre 1866 führte dazu, dass dieser bald inmitten eines sich rasch entwickelnden Stadtteiles lag, so dass man sich zur Anlage eines neuen Friedhofs jenseits der Bahnlinie entschloss. Den neuen Standort wählte man in einiger Entfernung zum bestehenden Stadtkörper, da man optimistische Erwartungen für die zukünftige Entwicklung der Stadt hatte, was u. a. der Bebauungsplan von 1894 belegt. Diese Erwartungen erfüllten sich allerdings nicht, weswegen der Friedhof auch heute noch nur lose städtebaulich eingebunden ist.

Beschreibung
Die ehemalige Leichenhalle mit Totengräberwohnung steht am westlichen Ende der Haupt-Querachse des 1873 in rechtwinkligem Raster angelegten Friedhofsareals (1914 und 1925 nach Norden und Osten erweitert). Der zweigeschossige Backsteinbau erhebt sich über annähernd quadratischem Grundriss und ist auf der Nord- und der Südseite mit aufwändig gestalteten Stufengiebeln geziert. Die Zugänge befinden sich auf den beiden traufständigen Seiten. Entsprechend der funktionalen inneren Aufteilung des Gebäudes in zwei annährend gleichgroße Bereiche (Leichenhalle und Totengräberwohnung) sind die beiden Eingangsfassaden unterschiedlich gestaltet. Auf der dem Friedhof zugewandten Seite ist der Eingang zur Leichenhalle durch einen Vorbau mit Giebel auf der Mittelachse des Gebäudes ausgezeichnet. Links neben dem Vorbau führt eine Tür in den Raum, welcher auf dem Plan der Erbauungszeit als Obduktionszimmer bezeichnet ist. Das Fenster rechts neben dem Vorbau gehört zur ehem. Leichenhalle, die zwei Drittel der Gebäudebreite einnimmt. Während die dem Friedhof zugewandte Seite nur ein Geschoss zeigt, ist die gegenüberliegende Seite als zweigeschossige, dreiachsige Fassade gestaltet, hinter der Wohnung und Amtsstube des Totengräbers ungefähr den halben Baukörper belegen. Die auch hier mittige Tür führt auf einen Flur, der die Räume des Erdgeschosses quer erschließt. Auf der von den Hauptzugangswegen am wenigsten einsehbaren Nordseite schließlich befindet sich ein niedriger, flachgedeckter Anbau. Der Charakter des Anbaus lässt dessen ursprüngliche Funktion als Schuppen und Aufbewahrungsort für Friedhofsutensilien erkennen.

Die Gestaltung des Äußeren verrät einen bemerkenswerten, repräsentativen Anspruch der Stadtgemeinde. Wichtigstes Schaustück des Gebäudes sind die beiden Stufengiebel, die sich auf der Nord- und auf der Südseite befinden: Über einem niedrigen Erdgeschoss mit drei durch einfache Vorsprünge getrennten Fensterbahnen und abschließendem Konsolgesims, erhebt sich ein fünfbahniger Stufengiebel. Die äußeren zwei Stufen stehen jeweils über der äußeren Fensterbahn während die Giebelmitte die ganze Breite der mittleren Fensterbahn einnimmt. Während die seitlichen Stufen einfach aus einer pfeilerartigen Begrenzung und zurückgesetzten Flächen mit Lanzettblenden zusammengesetzt sind, ist die Mitte gleichsam als Giebel im Giebel gestaltet. Das Feld mit drei gestaffelten und zusammengefassten Lanzettblenden bekrönt ein dreistufiger Giebel, dessen kleinere Abstufungen einen bewegten Kontrast zu den breiteren Stufen der seitlichen Giebelbahnen bilden. Der Wunsch nach formaler Bereicherung und Verlebendigung klingt auch in den vier seitlichen Giebelbahnen an, wo auf zwei schmalere Lanzettblenden außen zur Mitte hin je eine größere folgt.

Neben den Giebelseiten ist der Eingang zur Leichenhalle besonders hervorgehoben: Über dem spitzbogigen Portal des Vorbaus erhebt sich ein Dreiecksgiebel mit gestufter Binnengliederung. Wegen der schmalen Proportionen entsteht zwischen Portal und Giebelfeld eine Fläche, die mit einer Rundblende geschmückt ist. Die Stufen der Binnengliederung ruhen auf Konsolen. Auch bei diesem Giebel ist die Mitte besonders hervorgehoben. Aus kräftigen Vorsprüngen, die einen Lanzettbogen bilden, erhebt sich die kaminartige Giebelbekrönung. Das Konsolgesims am Dachansatz auf beiden Seiten des Vorbaus ist kräftiger und höher als die übrigen Gesimse des Baus und dient dazu, der traufständigen Eingangsfassade mehr Höhe und damit mehr Gewicht neben der seitlichen Giebelfront zu verleihen.

Neben den genannten Mitteln, eine vielfältige und repräsentative Gestaltung des Äußeren zu erreichen, ist schließlich noch der Einsatz unterschiedlich farbiger Ziegel als ein weiteres zu nennen. Ausgerichtet an den Fenster- und Türhöhen sowie als Angabe der Geschossteilung sind in regelmäßigen Abständen Bänder aus zwei Reihen dunklerer Ziegel angebracht. Dieser Farbwechsel findet sich auch an der Laibung des spitzbogigen Portals der Leichenhalle und an den flachbogigen Fensterabschlüssen des Erdgeschosses. Bemerkenswerterweise fehlt die Bänderung an der Nordseite, der vom Hauptzugangsweg abgewandten Seite des Gebäudes, die somit eindeutig als geringerwertige Ansichtsseite gestaltet wurde. Allerdings weisen die Außenwände der Schuppen-Anbauten als oberen Anschluss das gleiche Konsolgesims auf, das auch an den anderen, den Schauseiten, zu finden ist.

Die eingreifendste Veränderung am Außenbau betrifft eben diese Schuppenanbauten: Die ursprünglich zwei Flügel wurden zu einem unbekannten Zeitpunkt durch einen Einbau zwischen ihnen zusammengefasst. Die Fenster sind neu, die Fensteröffnungen allerdings weitgehend unverändert (nur im Obergeschoss der Westseite wurden sie etwas erweitert). Auch die Türen sind neu, mit Ausnahme der Eingangstür zur Wohnung des Totengräbers.

Von der Ausstattung des Inneren ist nur noch der Treppenaufgang ins Obergeschoss aus der Erbauungszeit erhalten.

Begründung des Denkmalwerts
Das Gebäude ist durch die Angabe des Jahres 1876 auf dem Schlussstein des Portalbogens am Eingang zur Leichenhalle datiert. Die Datierung bezieht sich wahrscheinlich auf das Jahr der Vollendung. Der Baumeister ist derzeit unbekannt; da Dülken zu jener Zeit noch keinen eigenen Stadtbaumeister besaß, kommen hierfür vielleicht der damalige Kreisbaumeister, eventuell sogar die Bauabteilung der königlichen Regierung in Düsseldorf in Frage. Letztere, vertreten durch ihren Leiter Baurat Krüger, hatte 1872, also kurz zuvor den Entwurf für die Höhere Bürgerschule an der heutigen Theodor-Frings-Allee angefertigt, bei der ebenfalls Anklänge an die Backsteingotik ein repräsentatives Äußeres herstellen.

Die ehemalige Leichenhalle ist nicht nur ein prägender Bestandteil im Erscheinungsbild der historischen Friedhofsanlage, sondern darüber hinaus ein Zeugnis für die Geschichte der Stadt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufstrebende Industriestadt Dülken errichtete hier ein öffentliches Gebäude mit bemerkenswertem gestalterischen Anspruch, einem der frühesten in einer Reihe weiterer aufwändiger kommunaler Bauten der Zeit zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg (neben der Höheren Bürgerschule z.B. Rathaus, Amtsgericht, Synagoge, Hallenbad). Auch bezeugt die Anlage des neuen Friedhofs 1873 in einiger Distanz von der Stadt den damaligen planerischen Optimismus in Bezug auf eine expansive Stadtentwicklung, die im Folgenden allerdings weit weniger rasch vonstatten ging als erwartet. Das Gebäude für den städtischen Totengräber spiegelt daher in seiner Gestalt und seiner städtebaulichen Position die Aufbruchsstimmung jener Zeit wider.

Die ehemalige Leichenhalle mit Totengräberhaus ist daher bedeutend für Dülken, Stadt Viersen.
Seine oben beschriebene, für die Bauaufgabe bemerkenswert aufwändige Gestaltung in Formen, die Anklänge an die regional hier eigentlich untypische Backsteingotik aufweisen, ist im Wesentlichen unverändert und anschaulich erhalten. Wegen seines daher vorhandenen Zeugniswertes für das öffentliche Bauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und für eine qualitätvolle Lösung dieser speziellen Bauaufgabe besteht an der Erhaltung und Nutzung aus wissenschaftlichen, hier architekturgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Hinzu kommen die erwähnten stadtentwicklungsgeschichtlichen Gründe.
Es handelt sich daher gemäß § 2 Denkmalschutzgesetz NW um ein Baudenkmal.

Literatur
Hugo Doergens: Chronik der Stadt Dülken, Dülken 1925.
Werner Mellen: Viersen Dülken (Rhein. Kunststätten Heft 323), Neuss 1987.
G. Perdelwitz: Chronographie der Stadt Dülken, Dülken 1969.

Im Auftrag
Dr. Marco Kieser
Landschaftsverband Rheinland/Rheinisches Amt für Denkmalpflege

nach oben