Grabmal Dammer/Erkens

Listenart: Baudenkmal, religiöse Denkmäler
Listen-Nummer555
Baujahr1935
eingetragen seit22.11.2023
Flur / Flurstück10/657
AnschriftFriedhof Boisheim, Viersen - Boisheim

Beschreibung
Das Grabmal Dammer/ Erkens auf dem Friedhof in Boisheim stammt aus der bekannten Bildhauerwerkstatt von Heinrich Püts (Wiedenbrück). Es ist inschriftlich datiert „1935“ und zeigt, auf einem Sockelblock stehend, die Figur der Madonna auf der Mondsichel, die das Jesuskind im Arm trägt.Im Sockelstein sind die Namen der Verstorbenen eingelassen. Die Madonna selbst erhebt sich auf einer dünnen Platte, die rechts unten als Inschrift den Namen des Bildhauers und die Datierung enthält:

„H. Püts Wiedenbrück 1935“.

Beim im Ursprung sehr hellen Naturstein handelt es sich wohl um Kalkstein (augenscheinlich vielleicht Savonnières?). Die Madonnenfigur, auf einer nach oben gerichteten Mondsichel stehend, ist überaus schlank und fein in der Linienführung gehalten. Das bodenlange Gewand zeigt im sehr langen Bereich der Beine einen sparsamen, elegant geschwungenen Faltenwurf. Darüber hält Maria mit beiden Armen das Jesuskind vor der Brust; das Kind hat den linken Arm leicht erhoben, den rechten anliegend, sein Kopf samt Haar ist fein-realistisch ausgearbeitet. Dies gilt auch für den Marias, wobei ihr leicht nach unten geneigter Kopf stärker ins Hochoval gelängt ist, die Schlankheit des Körpers fortsetzend. Ihre Augen sind fast geschlossen, der Mund lächelt. Auch hier im detaillierteren oberen Teil der Figur ist der grundlegende Ausdruck einer der Ruhe und Güte, im Sinne des Typs einer „schönen Madonna“.

Familie
Der Grabstein Dammer/ Erkens wurde für Johann Heinrich Friedrich Albert Erkens und seine Frau Maria Agnes Agathe Dammer aufgestellt. Der Hof Dammer/ Erkens in der Hofschaft Lind bei Boisheim ist bis heute in der Familie geblieben.

Albert Erkens und Maria Dammer hatten 1901 geheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Erkens, geboren 1867, war Jurist (ein Studierendenverzeichnis des WS 1888/89 weist ihn als Studenten an der Universität in München auf), hatte seinen Beruf aber – gemäß dem Nachruf im „Sprecher am Niederrhein“ vom 22.04.1911 - wegen eines körperlichen Leidens nach dem Referendariat nicht weiter ausüben können. In Boisheim war er in zahlreichen Vereinen und Verbänden – kirchlichen Bruderschaften, Kriegerverein, Bauernverein - gesellschaftlich aktiv und auch journalistisch u.a. für den „Sprecher am Niederrhein“ tätig.1911 ist er 44-jährig gestorben.

Bemerkenswert ist, dass es sich hier um denselben Albert Erkens handelt, der 1911/12 Initiator und einer der Stifter der Wegekapelle in Lind war, die ebenfalls Maria gewidmet ist (dort der „schmerzhaften Muttergottes“), er somit also noch kurz vor seinem Tod bereits in dieser Hinsicht hervorgetreten ist. Die Ehefrau von Albert Erkens, Maria geborene Dammer, starb erst am 28.01.1960 in Boisheim. Hinweise auf eine vergleichbare öffentlich gelebte Marienfrömmigkeit ihrerseits sind zwar nicht bekannt, aber natürlich auch nicht auszuschließen. Da der Grabstein mit „1935“ signiert ist und wahrscheinlich wie üblich doch zeitnah hierzu auf dem Grab aufgestellt worden sein dürfte, steht er also nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Errichtung der Grabstelle bzw. dem Tod eines der beiden Eheleute. Er dürfte vielmehr als eine bewusste Zeichensetzung seitens der Familie anzusehen sein. Ob neben der bereits in der Linder Kapelle dokumentierten persönlichen Marienfrömmigkeit hier auch ein Bezug zum Namen der Gattin oder noch andere Intentionen hinter der Motivwahl standen, ist nicht bekannt.

Künstler
Anders als dieser besondere, aber naturgemäß nur schwer fassbare persönliche Hintergrund des Grabmals ist dessen künstlerische und materielle Qualität offensichtlich. Es handelt sich um ein Werk aus einer bekannten, überregional tätigen Bildhauerwerkstatt in Wiedenbrück, dem Atelier von Heinrich Püts und dessen Sohn Hermann.

Heinrich Püts (15.01.1882 – 30.03.1962) war gebürtig aus Roermond in den Niederlanden. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er zunächst an der dortigen Kunstgewerbeschule, danach in Antwerpen und Köln. Nach Studienreisen durch Frankreich, Belgien und Österreich arbeitete er ab 1903 als erster Modelleur bei Anton Mormann in Wiedenbrück, wo sich etwa von Mitte des 19. bis in die 1920er Jahre hinein ein bedeutendes Zentrum des Kunsthandwerks befand, die sogenannte „Wiedenbrücker Schule“. Püts machte sich 1912/13 mit einer eigenen Werkstatt für sakrale Holz- und Steinbildhauerei selbständig. Mit zunehmendem Erfolg konnte er zeitweise bis zu fünfzehn Mitarbeiter beschäftigen. Gleichzeitig leitete er die 1908 gegründete Wiedenbrücker Modellier- und Zeichenschule. Das Schaffen von Püts und seiner Werkstatt – auch sein Sohn Hermann war Bildhauer und auf Steinarbeiten spezialisiert – hat seine Schwerpunkte natürlich im westfälischen Raum, reichte aber auch weit über diesen hinaus. Was, abgesehen von seinem generellen Renommee, konkret der Anlass für seine Beauftragung mit dem Boisheimer Grabmal war, ist unbekannt. Auffallend ist jedoch einerseits, dass in einem Zeitungsartikel über Püts 1927 von einem „Schutzengelbrunnen“ für Süchteln die Rede ist, über den bislang aber noch nichts ermittelt werden konnte, und andererseits vor allem, dass Püts 1934 wesentlich am Ausbau des Marienberges in Neviges beteiligt war, dem prominenten Marienheiligtum mit Wallfahrt, über das auch entsprechend überregional berichtet wurde. Eine Vermittlung hierdurch oder gar eine Anknüpfung oder Bezugnahme sind also durchaus denkbar.

Denkmalwert
Die Madonna auf der Mondsichel (zum Teil auch mit Strahlenkranz) ist ein seit dem Mittelalter durchaus gebräuchlicher Darstellungstypus, zurückgehend auf die Überlieferung der apokalyptischen Frau in der Offenbarung des Johannes. Hieraus entwickelte sich in der Gotik ein bestimmter Madonnentypus, meist als Einzelfigur oder an Altären oder Portalen. Im Grabzusammenhang verweist das Motiv auf Maria als Himmelskönigin, auch als Königin der Seeligen, die über dem Irdischen steht, was offenkundig und sehr anschaulich auch bei der Figur in Boisheim die Intention war.

Die Verwendung dieser Ikonographie nahm seit der Barockzeit zwar ab (bzw. wandelte sich in andere Darstellungstypen), ging aber nie unter. Gerade auch im 20. Jahrhundert werden spezifische Mariendarstellungen wie diese in zeitgenössischer Stilistik weiter gebraucht und erfahren sogar Wiederbelebungen, vor allem im katholischen Kontext der Marienverehrung. Der persönliche Kontext zeigt, dass dies auch der spezifische Hintergrund des Boisheimer Grabmals sein dürfte.

Neben den ortsgeschichtlichen Aspekten hinsichtlich der Person Albert Erkens und dessen öffentlichem Wirken in Boisheim besitzt das Grabmal Dammer/ Erkens also auch eine allgemeine zeit- bzw. religionsgeschichtliche Dimension. Aus den genannten Gründen ist es im Sinne des Denkmalschutzgesetzes NRW bedeutend für die Geschichte des Menschen und Städte und Siedlungen und ein Baudenkmal gemäß §2 (1) Denkmalschutzgesetz NRW. Wegen seiner bemerkenswerten gestalterischen Qualität, seiner zeittypischen Stilistik und als Werk eines bedeutenden Künstlers besteht an seiner Erhaltung aus künstlerischen und wissenschaftlichen Gründen ein Interesse der Allgemeinheit.

Quellen/ Literatur (Auswahl)
Materialsammlung Stadt Viersen, Untere Denkmalbehörde

Frdl. Mitt. Dr. David Gropp, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Benedikt Große Hovest / Marita Heinrich: Die „Wiedenbrücker Schule“. Paderborn 1991, Seite 86ff.

Marita Heinrich: Kunst und Kunsthandwerk in Wiedenbrück (19./20. Jahrhundert). Rheda-Wiedenbrück 1988, Seite 128ff.

Amtliches Verzeichnis der Lehrer, Beamten und Studierenden an der Königlich-Bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. 1888/89. WS. Via GoogleBooks (https://www.google.de/books/edition/Amtliches_Verzeichnis_der_Lehrer_Beamten/IcLsrPATSgwC?hl=de&gbpv=0), S. 47

Stand
Ortstermin vom 18.11.2022
14.07.2023
LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Dr. Marco Kieser

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