Wohnanlage Beghinenhof & Klostermühle

Listenart: Baudenkmal, städtische Denkmäler
Listen-Nummer554
Baujahr1975-1977
eingetragen seit22.11.2023
Flur / Flurstück100/380,381,402,403,417
AnschriftBeghinenhof 1-37/ Klostermühle 1-20, Viersen - Viersen

Darstellung der wesentlichen charakteristischen Merkmale
Die Wohnanlage Beghinenhof 1-37 und Klostermühle 1-20 wurde ab 1974 geplant und 1975-1977 (1. Bauabschnitt, Beghinenhof 1–37) und 1979-1982 (2. Bauabschnitt, Klostermühle 1-18) errichtet; bis 1986 folgten noch die Häuser Klostermühle 19 und 20. Auftraggeber war die Viersener Aktienbaugesellschaft (VAB). Die Planung erfolgte durch das Düsseldorfer Büro Walter Dansard, Heinz Kalenborn + Partner. Die Finanzierung erfolgte mit Mitteln der Stadt und des Landes.

Lage
Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle liegt im südlichen Bereich der Viersener Innenstadt, westlich von Hauptstraße und Gereonsplatz. Im Süden wird die Bebauung von der Hohlstraße begrenzt, die das innere Stadtgebiet als Verkehrsachse umschließt. Die zweiteilige Wohnanlage liegt beidseitig der Straße Am Kloster und wird von dort jeweils durch eine torartige Einfahrt erschlossen.

Baugeschichte Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle
Ende der 1960er Jahre geriet das Gelände der Mechanischen Seidenweberei als Baustein im Projekt „Sanierung Südliche Innenstadt“ in den Blick der Stadtplanung. Wie die zeitgleichen Maßnahmen in der nördlichen Innenstadt – Einkaufsgalerie, künftiges Kreishaus und weitere Wohngebiete – ging es von der absehbaren De-Industrialisierung aus. Ziel für Beghinenhof und Klostermühle war die „Entwicklung eines innenstadtnahen Wohnbereichs unter Einbeziehung der noch intakten Randbereiche“ nach Aufgabe der „funktionsfalsche[n] Nutzung“ durch die Produktionsstätte. Die Maßnahme wurde seit 1967 vorbereitet; außerdem wurden 1969 Förderanträge an Bund und Land gestellt. Eine erste Planung, datiert 1968 und eventuell aus dem Stadtplanungsamt hervorgegangen, zeigt charakteristische Züge von Siedlungsbau der 1960er Jahre, mit bis zu zehngeschossiger Bebauung ohne Bezugnahme auf den städtebaulichen (Blockrand-)Kontext. 1971 beschloss die Stadt das „Sanierungsgebiet Mechanische Seidenweberei“, 1973 führte sie den städtebaulichen Wettbewerb „Südliche Innenstadt Viersen 1“ zur Erlangung von Entwürfen durch. Die drei teilnehmenden Büros waren: Prof. Schürmann/ Köln, Bähr-Döhmen-Gansfort/ Düsseldorf + Mönchengladbach sowie Dansard-Hellenkamp-Kalenborn/ Düsseldorf. Das Preisgericht beschloss, das Preisgeld zwischen letzteren beiden ohne Festlegung einer Rangfolge gleichmäßig zu verteilen, da sie den gestellten Anforderungen am weitesten entsprachen. Im Unterschied zu den Planungen von 1968 zeigten die Entwürfe nun durchgehend die Bildung von Blockrand- und Zellenstrukturen als Merkmalen der 1970er Jahre. Der Vorschlag des Büros Kalenborn wich von der späteren Ausführung noch stark ab. Die Seidenweberei hatte 1970 den Prozess zur Standortumlegung eingeleitet und verlegte ihre Produktion bis 1973 in das Gewerbegebiet Hoserfeld. 1974 wurden die Gebäude abgerissen, auch die Klostermühle als letztes bauliches Zeugnis des Beghinenklosters und mehrere Wohnhäuser. Die VAB beauftragte das Büro Dansard, Kalenborn & Partner mit der weiteren Planung. Bearbeiter waren R. Maschlanka, H. Dams, W. Königstein und G. Schlünzen. Als erster Bauabschnitt wurde der Teil Beghinenhof 1975-1977 ausgeführt. Der Bebauungsplan für die Wohnanlage Klostermühle wurde 1979 beschlossen, die Anlage 1979-1982 gebaut; ihr Grundstein ist auf 1980 datiert. Als dritter Bauabschnitt sollte eine Erweiterung mit Altenwohnungen entlang der Heierstraße erfolgen. Da die Erkenntnis reifte, dass durch eine Blockrandbebauung der Innenhof dieser Anlage zu groß würde, wurde die Altbauten an der Heierstraße nicht abgerissen, sondern die neuen Häuser Klostermühle 19 und 20 im Innenhof platziert, geplant ebenfalls vom Büro Dansard, Kalenborn und Partner.

Baubeschreibung

Städtebau und Gesamtanlage
Die Wohnanlage gliedert sich in zwei hofartige Bebauungen beidseits der Straße Am Kloster. Torartige Öffnungen an der mittleren Straßenachse erschließen die autofreien Siedlungshöfe. Die städtebauliche Figur greift im Prinzip die Blockrandstruktur der älteren Umgebungsbebauung auf, indem entlang der umliegenden Straßen geschlossene Häuserzeilen, im Inneren der Blöcke frei gestellte, niedrige Häuserzeilen errichtet wurden. Die Binnenstruktur beider Anlagenteile ist durch Geländeversprünge und Staffelung der Architektur in Teil-Höfe und Gassenstrukturen untergliedert. Der ruhende Verkehr verteilt sich auf zwei Tiefgaragen, öffentliche Stellplätze sowie straßenseitig in den Gebäuden integrierte Einzelgaragen.

Verbindende architektonische Elemente sind die in Grundriss und Höhe differenzierte Gebäudekubatur, die Flachdächer, das rotbraune Ziegelmauerwerk, die horizontalen Sichtbetonelemente wie Stürze, Fensterbänke und Balkonbrüstungen. In der städtebaulichen Konzeption weisen die beiden Teilanlagen auch Unterschiede auf: Der westliche Teil Beghinenhof ist stärker als Abfolge räumlich als Baukörper wirksamer Kuben gestaltet, während der östliche Teil Klostermühle eine stärker durchkomponierte Gestaltung vertritt, erkennbar beispielsweise am Umgang mit den Ecken und im Norden an der direkten Anbindung zur älteren Bebauung der Heierstraße. Die Nordost-Ecke der Klostermühle hat außerdem, am Straßenzug Rötsch, eine offene Flanke, der Südost-Ecke antwortet eine, nicht zu diesem Projekt gehörende, eigenständige Siedlungsstruktur aus den 1980er Jahren.

Freiraumgestaltung
Die beiden großflächigen Siedlungshöfe sind mit Rasenflächen, Spielplätzen und niedrigen Bepflanzungen gestaltet. Die Geländeversprünge wurden mit Treppen und Böschungen ausgeglichen. Die Übergänge zwischen den öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen werden mit Hecken, niedrigen Mauern (mit kurvierten Wangen) und Gitterzäunen differenziert. Zum Hofinneren verfügen die meisten Häuser über eingefriedete Hausgärten mit Holzzäunen und Gartentoren. Die Gehwege und Plätze sind mit Verbundpflaster belegt und mit Randsteinen begrenzt. Zur Hohlstraße schafft ein niedriger bepflanzter Wall die nötige Abgrenzung. Bei der Bepflanzung der Wohnanlage wurde laut Erläuterungsbericht der Planer Wert auf eine Mischung aus immergrünen Pflanzen und Pflanzen, die zu verschiedenen Jahreszeiten blühen und Früchte als Nahrung für Singvögel tragen, gelegt.

Konstruktion und Technik
Der Erläuterungsbericht zur Anlage Beghinenhof stellt folgende Angaben zusammen: Kalksandsteinschottenbauweise, mit Stahlbetonecken, auskragenden Laubengängen und in der Regel durchlaufenden Stahlbetondeckplatten; Treppen in Ortbeton als Sichtbeton ausgeführt; alle Wohnungen mit Fußbodenheizung, da durch baulichen Vollwärmeschutz geringer Wärme- bzw. Energiebedarf. Es kann davon ausgegangen werden, dass vergleichbare Merkmale für den Bauteil Klosterhof gelten. Die Heizzentrale verfügt über einen freistehenden Stahlschornstein, der im Hof deutlich sichtbar in Erscheinung tritt.

Haustypen:
Mehrfamilienhäuser mit Laubengang
(Beghinenhof 1–7, 34–37)
Mehrfamilienhäuser ohne Laubengang(Beghinenhof 8–10, 29–33; Klostermühle 1–7, 14–18)
Pseudoreihenhäuser (Beghinenhof 11–28; Klostermühle 8–13)
Klostermühle 19-20

Architektur und Materialität:
Kombiniert wurden, in zeittypischer Weise, rotbrauner Backstein für die Flächen und Sichtbeton für gliedernde Elemente, die zum Teil dekorativ betont/ überhöht sind, zum Beispiel die Sohlbänke der Fenster und die Brüstungen der Balkone und Loggien, die Stürze der Fenster und Loggien, teilweise baldachinartig in den Dachbereich eingreifend, und die mit Stützen gegliederten Toreinfahrt an der Klostermühle. Dekorativ betont sind auch die Hausnummern und die beiden Grundsteine: farbig gefasste Betongusselemente in zeittypischer Typographie (Grundsteine: ANNO 1976 und ANNO 1980). Die Handläufe aus Metall weisen eine künstlerisch-dekorative Gestaltung auf. Ansonsten sind die Fassaden in damaliger Weise glatt und ungegliedert. Ihre Gliederung ergibt sich aus schmaleren und breiteren Streifen/ Abschnitten. Die Fenster- und Türelemente waren ursprünglich aus dunkel einbrennlackiertem Aluminium.

Inneres und Ausstattung
Die Baubeschreibung erwähnt Stahlzargen, Holztürblätter, Kunststoff-Fußboden auf schwimmendem Estrich und verputzte Wände.

Begründung der Denkmaleigenschaft

Bedeutung für die Geschichte des Menschen
Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ist bedeutend im Zusammenhang des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, denn sie zeugt von dem Bestreben, unter dessen Bedingungen qualitätvollen und vielfältigen Lebens- und Wohnraum zu schaffen. Das Projekt fällt in die Phase des anhaltenden Bevölkerungswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Schaffung von neuem Wohnraum dringend geboten war und mit öffentlichen Fördergeldern auf der Grundlage des Zweiten Wohnungsbaugesetzes von 1956 mitfinanziert wurde. Da das Wachstum mittlerweile weniger rasant verlief und dadurch der Baudruck geringer wurde, konnte mit der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle eine kleinmaßstäbliche, kleinteilige und architektonisch anspruchsvolle Anlage projektiert werden – durchaus im Unterschied zu den unter enormem Effizienzdruck entstehenden Groß-Siedlungen und -Wohnanlagen der 1960er und frühen 1970er Jahre. Diese Entwicklung wird im Vergleich zwischen dem ersten bekannten Modell von 1968 (aus den Antragsunterlagen für die Landesförderung) und der ausgeführten Gestaltung deutlich.

Die VAB als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen dokumentierte mit diesem öffentlich geförderten Projekt ein sich veränderndes Verständnis von sozialer Verantwortung und den Schwenk zu neuen sozialen Vorstellungen im Wohnungsbau. Das Ideal der großmaßstäblichen, den menschlichen Maßstab in Ausdehnung und Höhe oft weit überschreitenden Wohnanlagen, wie es die 1960er Jahre stark geprägt hatte, wurde aufgegeben. Sozialer Wohnungsbau erhielt eine andere Gestaltungsqualität, indem er nicht mehr nur aus „gestapelten“ Wohneinheiten konzipiert wurde, sondern größten Wert auf Überschaubarkeit und eine Mischung aus privatem, halb-öffentlichem und öffentlichem Raum legte. Durch ihre sehr differenzierten Gebäudeformen sowie Wohnungs- und Grundrisstypen und nicht zuletzt die Vielfalt an Freiräumen spiegelt die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle das Bestreben, unterschiedlichen Lebens- und Wohnformen und -bedürfnissen trotz der nötigen Beschränkungen zum Beispiel bei Wohnungsgrößen gerecht zu werden. Die klar strukturierte Gesamtanlage und eine anspruchsvolle Gesamtgestaltung tragen zur Gemeinschaft bei und wirken sozialer Entmischung entgegen.

Die vom Büro Dansard, Kalenborn & Partner konzipierte städtebauliche Anlage und die Architekturgestaltung nehmen ausdrücklich Bezug auf die Beghinenklause und deren Hofform. Und vergleichbar dem historischen Vorbild soll sich aus der Gestaltung die gewünschte Lebensform ergeben: Die einzelnen Bewohner*innen bzw. Familien können sich in ihre „Zellen“ (Wohnungen) zurückziehen oder das „Gespräch über den Gartenzaun“ suchen, können aber auch die halbprivaten Räume vor und zwischen den Häusern nutzen bzw. die großen gemeinschaftlichen Bereiche wie die Gartenhöfe mit den Spielplätzen (und nicht zuletzt die Tiefgaragen).

Bedeutung für Städte und Siedlungen
Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ist für Viersen eine der wichtigsten und bis heute prägenden städtebaulichen Maßnahmen der späten Moderne zur Erzielung funktionierender urbaner Strukturen. Als sich in den 1960er Jahren der Strukturwandel und die De-Industrialisierung bemerkbar machten, leitete die Stadt Viersen städtebauliche Maßnahmen ein, die die Gestaltung und Funktion der Stadt bis heute prägen. Die nördliche und südliche Innenstadt wurden zu den beiden zentralen Sanierungsgebieten, mit deren Entwicklung die Stadt wesentliche Impulse für Stadtgestaltung und Stadtentwicklung setzte und dazu neben dem Instrument des sozialen Wohnungsbaus auch das Städtebauförderungsgesetz nutzte. Vorrangiges Ziel waren die Nachnutzung der aufgegebenen Industrie- bzw. Gewerbeflächen, die Schaffung von Wohnraum und die Herstellung urbaner Strukturen. Die räumliche Nähe von Wohnen und Industrie bzw. Gewerbe war ein funktionales und städtebauliches Erbe von Viersens Entwicklung im 19. Jahrhundert gewesen und hatte den damaligen Anforderungen durchaus entsprochen. Rund 100 Jahre später hatte dieses Modell seine Funktionalität verloren, so dass Politik und Verwaltung ein neues Konzept für die Stadt suchten. Die zentrale und flächenmäßig wie gestalterisch herausgehobene Ansiedlung von hoheitlichen und kulturellen Funktionen – Kreishaus, Bibliothek, Galerie, Grünanlagen, Platzsituationen u.a. – bildete einen Schwerpunkt dieser Umstrukturierung, die in den 1990er Jahren abgeschlossen wurde.

In der nördlichen Innenstadt, nahe dem Remigiusplatz als einer historischen Keimzelle, entstanden in den 1970er und 1980er Jahren auf dem aufgegebenen Gelände der Firma Kaiser’s Kaffee u.a. Wohnquartiere, eine Einkaufspassage und der umfangreiche Komplex des Kreishauses. Das Gegenstück in der südlichen Innenstadt, unweit dem stadthistorisch ebenfalls wichtigen Gereonsplatz, bildet die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle auf dem Gebiet der ausgelagerten Mechanischen Seidenweberei. Dadurch gelang es, großen Flächen, deren industrielle Nutzung nicht mehr zeitgemäß war, einen neuen Wert im Stadtgefüge zu geben. Flächenmäßig ist schon die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle von gewisser Ausdehnung. Noch wesentlich umfangreicher waren die Maßnahmen im nördlichen Bereich.

Die Entscheidung für diese Innenstadtsanierungen und die konkret umgesetzten Projekte sollten sich als richtig und langfristig funktionsfähig erweisen, wobei Entwicklungen wie Digitalisierung des Handels damals nicht vorhersehbar waren.

Zudem ist die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle bedeutend als Beispiel für den Paradigmenwechsel der 1970er Jahre bei den Stadtsanierungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in der Zeit von Wiederaufbau und frühem Wirtschaftswunder zunächst Beseitigung von Kriegsschäden und Wiederaufbau zwei beherrschende Themen des Städtebaus gewesen. Die wirtschaftliche Konsolidierungsphase und Blüte der 1960er Jahre ging in vielen Orten einher mit urbanen Sanierungsprogrammen. Diese betrafen auch viele historische Stadtgefüge, die keine oder geringe Kriegsschäden erlitten hatten. Abrisse und Neugestaltungen waren Prinzipien der Modernisierung, Verkehrsführung und Architektur überschrieben den historischen Stadtgrundriss und das traditionelle Stadtbild oft vollständig. Bis weit in die 1960er Jahre blieben solche Umbauten in vielen deutschen Städten das vorherrschende Ideal bei Kommunalpolitik, Planung und Architektenschaft.

Diese Haltung veränderte sich in den 1970er Jahren. Der damals einsetzende Wandlungsprozess war gekennzeichnet von einer positiven Neubewertung historischer Architektur und des überlieferten Städtebaus, welche für Stadtplaner*innen, Architekt*innen und Bauherr*innen wieder zu Leitbildern wurden. Die weiteren Hintergründe dieses gesamtgesellschaftlichen Wandels können hier mit Stichworten wie der Ölpreiskrise, der Ökologischen Bewegung und einer allgemein zu beobachtenden positiven Hinwendung zur Geschichte bzw. zur Erinnerungskultur nur skizziert werden. Die „Wiederentdeckung der alten Stadt“ als Gegenentwurf zur „Grünen Wiese“ konnte sich auch deswegen durchsetzen, weil das Bevölkerungswachstum nicht mehr ganz so rasant war und der Nachfrage nach Wohnraum mit kleinteiligeren innerstädtischen Wohnlagen begegnet werden konnte.

Die Stadtsanierungen der 1970er Jahre wurden zunehmend nicht mehr als radikale flächige Erneuerungen konzipiert, sondern gingen stark vom Bestand aus. Bei der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle war die Bezugnahme auf die Reste historischer (Blockrand-)Bebauung Programm. Die neuen Teile orientierten sich in städtebaulicher Körnung und Maßstab ihrer Architektur an der Umgebung. Dies wird auch am Umgang mit dem fließenden und dem ruhenden Verkehr deutlich. Hatte das Modell von 1968 noch eine deutliche Privilegierung der Straßentrassen gezeigt und beispielsweise Parkplätze vor den Wohnhäusern angeordnet, wurde die Dominanz der Straßen in der ausgeführten Gestalt deutlich zurückgenommen (autofreie Höfe etc.) und die Parkplätze unter die beiden Anlagenteile verlegt. Diese Tendenzen prägten auch das Siedlungsbaugeschehen der 1980er Jahre. Bezeichnenderweise wurde die Viersener Anlage in den 1985 erschienenen Architekturführer zu Westdeutschland, zusammengestellt von Falk Jaeger, aufgenommen.

Wissenschaftliche, hier: architekturhistorische Gründe für die Erhaltung und Nutzung
Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ist bedeutend für das Siedlungsbaugeschehen in NRW in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, weil sie einen Übergang von Großstrukturen zu kontextsensiblen Strukturen verdeutlicht. Auf exemplarische Weise zeugt die Wohnanlage, wie oben angedeutet, von den gewandelten städtebaulichen Leitlinien der 1970er Jahre weg von der peripheren Großsiedlung hin zur innerstädtischen Wohnanlage und setzt dieses Konzept städtebaulich und architektonisch überzeugend um. Die Wohnanlage kann als eine indirekte Reaktion auf die von Alexander Mitscherlich 1965 konstatierte „Unwirtlichkeit unserer Städte“ begriffen werden, zu der sich ein umfassender Diskurs bei Planer*innen, Architekt*innen und Bauherr*innen entwickelte. Als Gegenentwurf zu der von Mitscherlich kritisierten Großmaßstäblichkeit, gestalterischen Monotonie und funktionalen Entmischung vieler 1960er Jahre-Siedlungen stellt die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle einen programmatischen Bezug zu (gewiss teilweise auch idealisierten) Wohnformen der Vergangenheit her, zudem in ausgesprochen zentraler und im Blick auf die städtischen Funktionen gut angebundener Lage. Ein für die Gestaltung prägender historische Bezug ergab sich aus der Nutzungsgeschichte der Grundstücke, auf denen zwischen dem frühen 15. Jahrhundert und 1802 der Beghinenkonvent bestanden hatte. Ein weiterer prägender Zug war die Einpassung in die (Reste der) vorhandenen Strukturen. Damit gehört die Wohnanlage in den Zusammenhang zu dem großen Thema der Reaktivierung historischer Stadtstrukturen seit den 1970er Jahren.

Mit der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ist das Konzept eines funktionsfähigen eigenständigen Wohnquartiers verwirklicht worden, dessen Maßstäblichkeit und Gestaltung auf Entwicklungen der 1980er Jahre vorausweisen. In den 1980er Jahren entstanden rheinlandweit und bundesweit zahlreiche Siedlungen und Wohnanlagen, die die endgültige Abkehr von Wohntürmen und Großwohnanlagen bedeuteten und stattdessen aus Vorbildern wie zum Beispiel Dorfformen, Arbeitersiedlungen, biedermeierlichen Bürgerhäusern etc. schöpften und daraus Zellenstrukturen, Wohnhöfe und moderne Dorfadaptionen entwickelten.

Architekturhistorische Gründe liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle beispielhaft eine Tendenz zur Orientierung an historischen und regionalen Vorbildern aufzeigt. Sowohl in ihrer städtebaulichen Konzeption als auch in der Architektur und der Materialität (prägend der Backstein) sucht die Anlage den Bezug auf historische und regionale Vorbilder und stellt damit einen Gegenentwurf dar zu den noch wenige Jahre vorher vorherrschenden Idealen einer internationalen Moderne und zum Beispiel der ausgiebigen Verwendung von Sichtbeton-Fertigteilen. Gerade der Backstein stellt den Anschluss zu einer niederrheinischen Materialtradition dar, wobei die gliedernden Betonelemente gleichsam die frühere Rolle der Werksteinteile einnehmen. Dazu passt als Detailbeobachtung auch die ehemals dunkelbraune Lackierung der Fenster- und Türelemente, die das moderne Material Aluminium eben nicht zeigten, sondern letztlich auf die Farbigkeit von traditionellen Holzelementen zurückverwiesen.

In ihrer Erläuterungsschrift von 1977 haben die Architekten des Büros Dansard, Kalenborn & Partner den Bezug zum Beghinenkloster ausdrücklich dargestellt. Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle reflektiert damit auch ihre Auseinandersetzung mit den damaligen Diskussionen über neue bzw. neu entdeckte – historisch inspirierte – Wohnformen.

Weitere Vorbilder neben der Konventsstruktur lassen sich in Hof- und Dorfformen und -motiven festmachen. Dadurch ist die Wohnanlage einerseits ein (zweiteiliger) Baustein in der Blockrandstruktur der südlichen Innenstadt, andererseits eine moderne Interpretation eines (niederrheinischen) Dorfs, mit Höfen, Gassen und Anger.

Ein weiterer Rückgriff lässt sich auf typologische Vorbilder älterer Wohn- und Werkssiedlungen der 1910er und 1920er Jahre feststellen. Hierfür sind vor allem die Reihenhausstrukturen, die geometrische Platzbildung am Beghinenhof und die gestalterisch überhöhte Tordurchfahrt von der Straße Am Kloster in den Teil Klostermühle zu nennen. Dieses dreiteilige, mit Zierelementen ausgestattete Portal findet grundsätzliche Vorbilder z.B. in der Werkssiedlung der Chemischen Fabrik in Krefeld (1920-22) Einzeldenkmäler, Fortschreibung um Freiflächen vorgesehen), der berühmten Werkssiedlung Bayer-Direktoren- und Beamtensiedlung in Leverkusen-Wiesdorf (1898-1925, Einzeldenkmal mit Freiflächen), hier konkret dem Werkstor 1 mit Feuerwache, dem Wohnhof Sedanstraße in Wuppertal-Sedansberg (1924-25, Einzeldenkmal ohne Freiflächen) oder der Wohnanlage Essener Straße in Düsseldorf-Derendorf (1912-13, Denkmalwert festgestellt). Auch die Siedlungen der Klassischen Moderne – sowohl in Deutschland wie auch, als Regionalbezug, in den nahen Niederlanden, liefern mit ihren städtebaulichen Strukturen und den Haustypen Vorbilder, die in der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle verarbeitet sind.

Architekturhistorische Gründe liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ein in ihrer Zeit noch seltenes Beispiel für das Wiederaufgreifen historischer Vorbilder ist. Die Anlage erinnert mit ihren offenen und in sich geschlossenen Bereichen, der zentralen Platzanlage und der Mischung verschiedener Wohnformen an die kurz zuvor (1974) fertig gestellte Kölner Siedlung an der Riphahn- bzw. Compesstraße von Gottfried Böhm. Konkretes Vorbild für Viersen könnte die Wohngasse mit den Wohnungen Riphahnstraße 1-7 sowie den Altenwohnungen Compesstraße 9-27 gewesen sein. Gerade dieses Projekt wie auch sein größerer Rahmen, die Neue Stadt Chorweiler im Norden Kölns, war seinerzeit viel publiziert und viel beachtet. Es darf davon ausgegangen werden, dass die Architekten Dansard, Kalenborn & Partner von dieser Anlage Kenntnis hatten, zumal auch eine persönliche Bekanntschaft mit Gottfried Böhm bestand.

Ein weiteres etwa zeitgleiches Projekt des Büros Böhm war die Wohnanlage in Köln-Porz-Zündorf, die 1973-86 geplant und ausgeführt wurde. Ähnlich wie die Anlage Beghinenhof und Klostermühle liegt diese Wohnbebauung in direkter Nähe zu historischen Strukturen, adaptiert sie und nutzt dabei geschickt die Terraingefälle und integriert sogar ein ehemaliges Klostergebäude mit Klostergarten.

Die von der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle präsentierten Tendenzen wurden maßgeblich für andere Viersener Wohnanlagen, die in den 1980er Jahren entstanden, wie zum Beispiel den Bereich direkt gegenüber der Klostermühle an der Straße Rötsch und in der nördlichen Innenstadt am Diergardtplatz. Rheinlandweit lässt sich nach derzeitigem Kenntnisstand keine Anlage benennen, die dem Beghinenhof und der Klostermühle unmittelbar vergleichbar wäre.

Wissenschaftliche, hier: ortsgeschichtliche Gründe für die Erhaltung und Nutzung
Ortsgeschichtliche Gründe liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle die Viersener Stadtsanierung als wichtigste städtebauliche Maßnahme der 1970er Jahre dokumentiert. Die 1970er und 1980er Jahre spielen in der Gestaltwerdung der Viersener Innenstadt eine entscheidende Rolle. Aus dem „Gesetz zur Neugliederung des Kreises Kempen-Krefeld und der kreisfreien Stadt Viersen“ von 1969, in Kraft getreten zum 1. Januar 1970, ergab sich der Bedeutungszuwachs des alten Viersen, das im Rahmen der Gebietsreform zum Kernstück der neuen kreisangehörigen Stadt Viersen wurde. Parallel war seit der Zeit um 1960 der Niedergang der Textilindustrie in Gang gekommen, was erhebliche Problem für die Stadt aufwarf.

Mit verschiedenen städtebaulichen Maßnahmen gaben Politik und Verwaltung der Innenstadt neue Impulse, beispielsweise durch die Umgestaltung der Hauptstraße zu einer anspruchsvollen Fußgängerzone (Landschaftsarchitekt: Georg Penker) ab 1972. Diese Fußgängerzone sollte über eine ästhetische Neugestaltung und Verkehrsberuhigung hinausgehend auch einen sozialen Mehrwert für die Stadtgesellschaft haben, beispielsweise durch Elemente, die das soziale Miteinander förderten, wie die berühmte „Spiel- und Diskutierpyramide“, den im Volksmund so genannten „Monte Quasselino“.

In der nördlichen Innenstadt wurde die Kaiser’s-Fabrikantenvilla, ein repräsentativer Bau von 1869, 1973 durch die Stadt erworben und nach einem Umbau 1980 als Städtische Galerie im Park eröffnet. Auf den freigewordenen Flächen der umgesiedelten Kaiser’s Kaffee-Werke entstanden Wohnanlagen und vor allem eine Einkaufspassage und später das Kreishaus. Abgerundet wurden diese Maßnahmen durch ausgedehnte öffentliche Freiflächen und Grüngestaltungen. Auch in der südlichen Innenstadt wurden mehrere Maßnahmen durchgeführt. Mit der Umgestaltung des Gereonsplatzes wurde in dieser Zeit eine bestehende Struktur aufgewertet, mit der Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle eine neue Struktur im historischen Kontext geschaffen.

Als verbindendes aller Maßnahmen kann das Ziel gelten, über eine reine Funktionserfüllung hinauszugehen und sozial-wertvolle Räume mit hohem gestalterischem Anspruch zu schaffen. Damit erweist sich das Thema Stadtsanierung der 1970er Jahre als eine wesentliche und bis heute prägende Zeitschicht in Viersen, die aus unterschiedlichen, zueinander komplementären Teilprojekten besteht. Sie ist Ausdruck sowohl des Strukturwandels als auch des beherzten Reagierens der Stadt auf diesen Wandel und an den verschiedenen Standorten ablesbar.

Ortsgeschichtliche Gründe liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle auf für Viersen bedeutende historische Erinnerungswerte Bezug nimmt. Die Wohnanlage nimmt in mehrfacher Weise ausdrücklich Bezug auf ihren Baugrund, den Ort des Beghinenkonvents. Obwohl diese Einrichtung schon in der Säkularisationszeit 1802 untergegangen war und ihre Gebäude im 19. Jahrhundert weitgehend abgebrochen wurden, scheint sie im kulturellen Gedächtnis Viersens präsent geblieben zu sein. Die bis heute bestehenden Straßennamen „Klosterstraße“, „Am Kloster“ und „Am Klosterweiher“ verdeutlichen dies. Im 19. Jahrhundert war der Bereich als Standort der Mechanischen Seidenweberei neu definiert worden, und auch materiell war vom Beghinenkonvent lediglich die Mühle erhalten geblieben. Dennoch war die Prägekraft der mittelalterlichen Klosteranlage so groß, dass sie programmatisch die Folie für die Gestalt und den Namen der neuen Wohnanlage abgab, so dass konsequenterweise auch zwei neue Straßenbezeichnungen, 1975 „Beghinenhof“ und 1980 „Klostermühle“ festgelegt wurden.

Einen gestalterischen Reflex auf die untergegangene Industrieanlage kann man möglicherweise in der sehr prominenten Platzierung und Gestaltung der Drei-Schornstein-Anlage (Heizungsanlage) im Innenhof des Beghinenhofs sehen.

Städtebauliche Gründe für die Erhaltung und Nutzung
Städtebauliche Gründe liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle im Stadtgefüge der südlichen Innenstadt die maßstabsgetreue Einfügung eines großen Neubaukomplexes verdeutlicht und ihre Umgebung städtebaulich aufgewertet hat. Die Wohnanlage verdeutlicht beispielhaft, wie durch städtebauliche Konzeption, Architektursprache und Materialität eine kontextsensible Einfügung in vorhandene Strukturen gelingen konnte. Die Anlage zeigt gegenüber der umgebenden Stadt durchaus eine gewisse Abgrenzung, zum Beispiel durch die klare Außenkontur, ihre Blockhaftigkeit und auch die begrünten Wälle an der Hohlstraße. Zugleich gliedert sich die Anlage in die Stadt ein und sucht den Anschluss an vorhandene Strukturen. Das große Volumen (Beghinenhof: 123 Wohneinheiten) wurde geschickt in die vorhandene Struktur eingefügt. Die teilweise prominent gestalteten Torsituationen und die Einsehbarkeit der Anlage fördern den räumlichen Zusammenhalt.

Zusätzlich wurden einige städtebaulich teilweise unbefriedigende Strukturen dieses Bereichs durch die neue Wohnanlage gelöst. Mit dem Teil Beghinenhof entstand die bislang fehlende östliche Raumkante für die Straße Am Klosterweiher. Die Pflasterung der Straße und des Platzes Am Klosterweiher übernahm die Stadt Viersen im Zusammenhang mit dem Bau des Beghinenhofs. Der nördliche Teil des Beghinenhofs definiert den neuen Platz zwischen Am Klosterweiher und Klosterstraße. Entlang der Hohlstraße komplettierte die Stadt die Außenbereiche der Wohnanlage durch eine Neugestaltung der Bürgersteige und der zugehörigen Grünflächen. So hat die Wohnanlage nicht nur für sich und nach innen, sondern auch auf den städtebaulichen Zusammenhang eine positive Wirkung entfaltet.

Die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle ist bedeutend für die Geschichte des Menschen, denn in sozialgeschichtlicher Perspektive zeugt sie von dem Bestreben, im sozialen Wohnungsbau qualitätvollen und vielfältigen Lebens- und Wohnraum zu schaffen und damit differenzierten Ansprüchen der Menschen zu entsprechen.

Bedeutend für Städte und Siedlungen ist die Anlage, weil sie für Viersen eine der wichtigsten und bis heute prägenden städtebaulichen Maßnahmen der späten Moderne zur Erzielung funktionierender urbaner Strukturen darstellt. Sie ist bedeutend als hervorragendes Beispiel für den Paradigmenwechsel der 1970er Jahre bei den Stadtsanierungen.

Wissenschaftlich-architekturhistorische Gründe für Erhaltung und Nutzung liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle einen Übergang von Großstrukturen zu kontextsensiblen Strukturen verdeutlicht. Sie zeigt beispielhaft eine Tendenz zur Orientierung an historischen und regionalen Vorbildern auf und ist ein in ihrer Zeit noch seltenes Beispiel für das Wiederaufgreifen historischer Vorbilder.

Wissenschaftlich-ortsgeschichtliche Gründe liegen vor, weil die Anlage die Viersener Stadtsanierung als wichtigste städtebauliche Maßnahme der 1970er Jahre dokumentiert, deren komplementäre Projekte das Stadtgefüge bis heute prägen. Außerdem nimmt die Anlage auf für Viersen bedeutende historische Erinnerungswerte in Gestalt und Namensgebung (bis hin zu neuen Straßennamen) Bezug.

Städtebauliche Gründe für Erhaltung und Nutzung liegen vor, weil die Wohnanlage Beghinenhof und Klostermühle im Stadtgefüge der südlichen Innenstadt die maßstabsgetreue Einfügung eines großen Neubaukomplexes verdeutlicht und ihre Umgebung durch die Abrundung vorhandener Strukturen städtebaulich aufgewertet hat.

Stand
Ortstermine: 01.02.2022/ 30.05.2022

HInweis: gekürzte Fassung

nach oben