Wohnhaus für Josef Kerken

Baudenkmal Details
Listenart städtische Denkmäler
Listennummer 559
Baujahr 1912/13
Eingetragen seit 21.08.2024
Flur / Flurstück 94/77
Adresse
Oberstraße 3
41749 Viersen
Wohnhaus für Josef Kerken
Bauherr: Josef Kerken, Steuersekretär
Urheber: H. und W. Eigelshoven, Bauunternehmer

Beschreibung

Das freistehende Wohnhaus im gründerzeitlichen Erweiterungsgebiet von Süchteln südwestlich der Innenstadt, wurde 1912/13 für den städtischen Steuersekretär Josef
Kerken durch das Baugeschäft H. & W. Eigelshoven aus Viersen errichtet. 

Es handelt sich um ein allseitig freistehendes, anderthalbgeschossiges Wohnhaus auf leicht querrechteckiger Grundfläche (ca. 9 x 13 m; die schmalere Seite ist nach vorne gerichtet), verputzt mit Mansarddach. Seitlich ist das Obergeschoss jeweils als Mansarde mit großen Zwerchhaus mit halbrundem Ziergiebel gestaltet. Nach vorne zeigt sich das Haus zweigeschossig mit Krüppelwalm am Dachgeschoss. Die Traufen der seitlichen Mansardflächen sind um die Ecke verkröpft. Nach hinten ist das Dach gestaffelt. Das vorgezogene Küchenzimmer besitzt ein Mansardwalmdach. 

Der danebenliegende ehemalige Wintergarten mit Austritt darüber ist eine zweigeschossige Wand (analog zur Vorderseite) vorgesetzt. Das Haus wird von der linken Seite her erschlossen. Etwa mittig ist dort ein eingeschossiger offener Eingangsvorbau mit Eckpfeilern und abgewalmter Verdachung angeordnet. Vorne rechts steht ein fünfseitiger Standerker mit flacher Haube. Die Fassade ist ansonsten annähernd symmetrisch gegliedert mit zu Zweier- und Dreiergruppen zusammengefassten schlanken Fensteröffnungen. Im Obergeschoss mittig ist ein flacher Kastenrisalit angelegt, dessen Ecken analog zur linken Fassadenecke und zu den Kanten der seitlichen Zwerchhäuser kassettiert sind. Unterhalb des Erkers ist an Stelle einer Fenstergruppe eine Schmuckkartusche mit kräftig ornamentierter Rahmung vorzufinden, die sich auch in den seitlichen Zwerchhausgiebeln wiederfindet. Seitenwände und Gartenseite sind stilistisch gleich gehalten, aber schlichter gestaltet. Die ehemals wohl offene „Veranda“ (Wintergarten) an der Rückseite wurde später geschlossen.

Die Holzfenster sind stilistisch angepasst erneuert und orientieren sich an der ursprünglichen Teilung des Bauplans. Die originale hölzerne Haustür mit Fenster und Schmuckgitter ist erhalten. Der Portalbau mit Bodenfliesenbelag, der sich innen in Flur und Diele fortsetzt. Die zweiläufig im rechten Winkel nach oben geführte Holztreppe ist in die zentrale Diele eingestellt. Der kurze Eingangsflur wird durch einen Rundbogen von der Diele abgetrennt. Die Raumstruktur mit zwei Zimmern nach vorne und einem großen Wohnzimmer nach hinten ist erhalten; die beiden Wohnzimmer nach vorn und hinten sind durch eine Schiebetür miteinander verbunden. Hinten links neben der ursprünglichen Veranda befindet sich die Küche mit altem Fliesenboden, jüngst mit dem hinteren Zimmer verbunden. Die Raumteilung im Obergeschoss ist ähnlich. Über der Küche im Bauplan befindet sich das Badezimmer. Reste der Deckengestaltung (Rosetten) sind neben zeittypischen Holztüren und –rahmen erhalten.

Begründung des Denkmalwerts/ Bedeutung für die Stadt Viersen

Das Haus ist ein gut erhaltenes Zeugnis der Architektur und Stadtentwicklung von Süchteln in dessen wirtschaftlich günstigen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Als solches und als Wohnhaus einer wichtigen Person des öffentlichen Lebens in Süchteln ist es im Sinne des Denkmalschutzgesetzes NRW bedeutend für Städte und Siedlungen, hier die Stadt Viersen.

Der Bereich zwischen den beiden alten Straßen und Wegen Tönisvorster Straße und (heutige) Anne-Frank-Straße wurde erst ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung erschlossen und bebaut. An der Tönisvorster Straße entstanden bei dieser Stadterweiterung zum Teil öffentliche Gebäude wie Rathaus und Krankenhaus, südlich von ihr neben Wohnhäusern vor allem Industriebauten, die auf den an der heutigen
Freudenbergstraße gelegenen Bahnhof hin bezogen waren. Das Wohnhaus Oberstraße 3 repräsentiert eine späte Phase dieser Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg
und wurde auf ein relativ enges Grundstück gesetzt. Der für die Ausführung in der vorgesehen Weise notwendige behördliche Dispens (Ausnahmegenehmigung) hinsichtlich nicht eingehaltener Abstände zu den - damals noch unbebauten - Nachbarparzellen wurde bezeichnenderweise ausdrücklich mit den hohen Bodenpreisen begründet, die ein modernes Familien-Wohnhaus wie dieses andernfalls erheblich verteuern würden – wobei die Abstandsunterschreitung hauptsächlich durch „stilistische“ Elemente wie den Portalbau und den Erker ausgelöst wurde, die aber nach Meinung des Antragstellers (der sich die Stadtgemeinde anschloss) erheblich zur „Verschönerung“ des Gebäudes beitragen würden.

Bauherr des Hauses war Josef Kerken (1885-1955), der nach ersten Jahren bei der Verwaltung seines Heimatortes Hinsbeck seit 1909 bei der Stadtverwaltung von Süchteln tätig war – zunächst als beamteter Steuersekretär, ab 1918 dann bis zu seiner Pensionierung als „Stadtrentmeister“ mit der Leitung der Stadtkasse betraut. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kerken zeitweise sogar stellvertretender Leiter der Stadtverwaltung. Daneben engagierte er sich ehrenamtlich in wichtigen örtlichen Vereinen wie dem Martinsverein und dem Verkehrs- und Verschönerungsverein. Anlass für die Errichtung des eigenen Einfamilienhauses war neben der neuen Tätigkeit in Süchteln offensichtlich vor allem die zeitgleiche Familiengründung – die Verlobung mit seiner Frau Johanna, geb. Schmitz fand im Herbst 1912, die Heirat im August 1913 statt; im Juni 1914 wurde die erste Tochter geboren.

Die Bauunternehmung „H. & W. Eigelshoven“ unter Leitung von Hubert und Wilhelm Eigelshoven in Viersen wurde 1905 in das Handelsregister eingetragen. Es gab dort
jedoch bereits vorher ein Baugeschäft gleichen Namens bzw. von Wilhelm Eigelshoven. Das neu aufgestellte Geschäft mit Sitz an der Süchtelner Straße etablierte sich offenbar rasch als eines der führenden Unternehmen seiner Art vor allem im nördlichen Stadtbereich von Viersen, der vor dem Ersten Weltkrieg eine dynamische bauliche Entwicklung nahm.

Das Haus Oberstraße 3 belegt (nach bisherigem Kenntnisstand als einziges Beispiel), dass die Bauunternehmung auch darüber hinaus, z.B. im angrenzenden Süchteln, bereits vor dem Ersten Weltkrieg tätig war. Es ist in einer zeittypischen, seinerzeit beliebten Typologie und Stilistik gehalten: dem freistehenden Einfamilienhaus für eine bürgerliche Bauherrenschaft, im mit neobarocken Formen arbeitenden „Reformstil“, der sich vom voraus gegangenen Historismus des späten 19. Jahrhunderts absetzt und gerade in Stadterweiterungsgebieten für kleine, villenähnliche Wohnhäuser verwendet wurde. Die offene Bauweise nimmt dabei auch moderne Erkenntnisse der Stadthygiene auf, wie sie zum Beispiel auch von der Siedlungs- und Gartenstadtbewegung der Zeit popularisiert worden waren.

Das Haus Oberstraße 3 in Süchteln folgt typisch dieser vor dem Ersten Weltkrieg verbreiteten „modernen“ Bauweise. Es ist gut und anschaulich erhalten und daher geeignet, der wissenschaftlichen Forschung zur regionalen Architekturgeschichte sowie zur Ortsentwicklung von Süchteln als materielle Quelle zu dienen. Seine Erhaltung und Nutzung liegt aus wissenschaftlichen Gründen im Interesse der Allgemeinheit.

Das Wohnhaus Oberstraße 3 in Viersen-Süchteln ist ein Baudenkmal gemäß Denkmalschutzgesetz NRW. Es ist bedeutend für Städte und Siedlungen. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen Gründen ein Interesse der Allgemeinheit.

Quellen und Materialien

Ortstermin 28.05.2024
Bauakte der Stadt Viersen 
Stadt Viersen, Untere Denkmalbehörde, Materialsammlung (Materialien im Archiv des Kreises Viersen)
Diverse Presseartikel (Portal zeitpunkt.nrw), u.a. Viersener Zeitung 12.01.1905 (Handelsregister H. & W. Eigelshoven); Viersener Volkszeitung 17.08.1912, 20.08.1913,
15.06.1914 (Familie Josef Kerken)

Stand

Dr. Marco Kieser
Wissenschaftlicher Referent
LVR/ Amt für Denkmalpflege im Rheinland
09.07.2024