Ehemaliges Kutscherwohnhaus mit Remise und Stallungen der Villa Greef

Baudenkmal Details
Listenart städtische Denkmäler
Listennummer 568
Baujahr 1897
Eingetragen seit 11.06.2025
Flur / Flurstück 98 / 236
Adresse
Gladbacher Straße 60
41747 Viersen

Lage / Geschichte

Das ehemalige Kutscherwohnhaus mit rückwärtiger Remise und Stallungen der Villa Greef an der Gladbacher Straße wurde 1897 nach einem Plan des Viersener Bauunter-nehmers Carl Schnitzler errichtet.

Ansicht von der Straße

Beschreibung - Darstellung der wesentlichen charakteristischen Merkmale

Es handelt sich um eine zweiteilige Anlage, bestehend aus einem an der Straße gelegenen zweigeschossigen Wohnhaus und einem lang gestreckten eingeschossigen Flügel an der Rückseite, der Remisen und Stallungen aufnahm. Zum seitlich in das Grundstück hineinführende Alleenweg ist dieser zurück liegende Flügel mit einer Einfriedung, welche die Flucht des Vorderhauses aufnimmt, und einem Vorplatz abgeschirmt.
Alle Ansichtsseiten sind stilistisch und materialmäßig gleich gehalten; links (Nordseiten) waren die Gebäude angebaut und sind dort entsprechend ungestaltet. Die Fassaden sind über Sockel mit orangefarbenen Ziegeln verkleidet. Gequaderte Ecklisenen, Gesimslinien und andere Zierelemente sind hell aufgeputzt. Die Dächer sind als ursprünglich verschieferte Plateaudächer, die wie Mansarden wirken, ausgebildet.
 

Die Remise der Villa

Das Wohnhaus auf etwa quadratischer, leicht unregelmäßiger Grundfläche (ca. 11,5 x 9,5 m) ist nach vorne dreiachsig mit einem mittig eingenischten Eingang. Hochrechteckige Fenster und Eingänge sind ohne Rahmung in die Wände eingeschnitten, mit Segmentbogenstürzen und bekrönender Keilsteinmauerung. Über dem Hauseingang ist ein eiserner Zierfahnenhalter angebracht. Ein Sohlbankgesims trennt die Geschosse, die Traufe ist mit einem Putzband und volutenförmigen Konsölchen abgesetzt. Über der Mittelachse sitzt im Dachbereich ein Zwerchhaus mit Rundbogengiebel und Vasenbekrönung, beidseitig begleitet von Gauben, die nach vorne heute verändert sind, ursprünglich aber den schmuckvoll kartuschenförmigen der übrigen Seiten entsprachen.

Die rechte Seite ist fensterlos. Im Obergeschoss nehmen zwei zusätzliche aufgeputzte gequaderte Lisenen ein Medaillon mit vollplastisch hervortretendem Pferdekopf in ihre Mitte. Die Rückseite zeigt links zwei Fensterachsen, mittig einen eingeschossigen, walmgedeckten Eingangsvorbau und rechts im Zwickeln zum Remisenflügel einen polygonalen Vorbau, der eine schräg gestellte weitere Fensterachse samt Zwerchhaus im Dachbereich enthält.

Das Innere des Wohnhauses besitzt noch ein dichtes historisches Raumbild. Hinter dem Eingang führt im Erdgeschoss ein Mittelflur mit Schmuckfliesenboden gerade zum Hofausgang. Links und rechts von ihm sind je zwei Zimmer angeordnet, wobei links noch das Treppenhaus zwischen die beiden Zimmer gesetzt ist. Die Zimmer zeigen unterschiedliche Stuckrosetten in der Deckenmitte. Die bauzeitliche Holztreppe, gerade gegenläufig mit Wendepodest, kandelaberförmigem Anfangspfosten und gedrechselten Stäben ist ebenso erhalten wie alte Rahmenfüllungstüren, zum Teil mit profilierten Gewänden. Decke und der Durchgang zum Treppenhaus im Flur sind ebenfalls mit Stuckdekor akzentuiert. In den Zimmern sind Dielenböden noch erhalten, das Treppenhaus wird durch ein Oberlicht belichtet.

Der rückwärtige eingeschossige Remisen- und Stallflügel ist mit Ziegelverkleidung, aufgeputzten Quaderungen, ursprünglich verschiefertem Plateaudach mit kartuschenförmigen Gauben etc. stilistisch dem Wohnhaus angeglichen. Mittig ist ein Risalit leicht vorgezogen,
der im Dach in ein Zwerchhaus mit einer Ladeluke zwischen geraden Kanten und einem Dreieckgiebel übergeführt ist. Seine gequaderten Ecklisenen sind mit Vasen bekrönt. Der heute vorhandene Zugang ist neu, ursprünglich befanden sich hier nur Fensteröffnungen. Im mansardartigen Dachbereich sind links und rechts des Zwerchhauses jeweils drei kleine Dachgauben angeordnet. Das Erdgeschoss des Flügels zeigt heute regelmäßige breite rechteckige Öffnungen, laut Bauzeichnung von 1897 besaß es ursprünglich nur links, wo die Remisen für Kutschen etc. waren, solche großen Öffnungen; rechts am Stallteil waren kleinere Einzelöffnungen und eine Tür angeordnet.

Eine noch weitgehend erhaltene Einfriedung aus ziegelverkleideten Mauerzügen, gequaderten Pfeilern, Sockelmauer und eisernen Stabgittern trennt den Hofbereich vom vorbeiführenden Alleeweg ab. Unmittelbar rechts am Wohnhaus ist noch der letzte Pfeiler der ehemaligen straßenseitigen Einfriedung des Greef’schen Anwesens erhalten.

Bedeutung / Denkmalwert

Das ehemalige Kutscherwohnhaus der Villa Greef mit Remisen- und Stallflügel sowie Einfriedung ist bedeutend für Städte und Siedlungen, als Zeugnis der Orts-, Wirtschafts- und Architekturgeschichte von Viersen im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert. Die Gebäude waren ursprünglich Teil des umfangreichen Anwesens der Familie Greef, das heute zwar noch in verschiedenen Lage- und Straßenbezeichnungen weiterlebt (Greefsgarten, Greefsallee), dessen Bauten aber ganz überwiegend Ende der 1960er abgerissen wurden. An ihrer Stelle befinden sich seitdem das Seniorenheim „Haus Greefsgarten“ und die „Städtische Realschule an der Josefskirche“. Das ehemalige Kutscherhaus ist somit an dieser Stelle das letzte bauliche Zeugnis dieses einst herausragenden Teils der Viersener Wirtschaftsgeschichte.

Friedrich Wilhelm Greef (1814-1900) gründete 1837 in seinem Geburtsort Süchteln eineSammet- und Seidenmanufaktur. Später wechselte das Unternehmen nach Viersen und wurde dort zu einem der bedeutendsten Betriebe der aufstrebenden Industriestadt. Für die 1860er Jahre stellt Jochem Ulrich fest: „F.W. Greef stand mit 4000 bis 5000 Talern Gewerbeeinnahmen im Jahr einer Reihe der bedeutenderen Krefelder Seidenfabrikanten mit seinen Geschäftserträgen nicht nach" (Seite 46). Um 1880 gelang Greef die rechtzeitige Umstellung der Fabrikation auf mechanische Webstühle. „Greef wurde für eine Zeit führend in der Mechanisierung des Viersener Samt- und Seidengewerbes. Er allein hatte fast ein Drittel des Viersener Bestandes an Maschinenstühlen 1884 in seiner Fabrik stehen" (Ulrich Seite 67). Er engagierte sich auch über Viersen hinaus, so war er unter anderem einer der drei Direktoren der Gladbacher Feuerversicherungs Aktiengesellschaft; 1865 war er einer von 12 Gründern der Viersener „Actiengesellschaft für Spinnerei und Weberei“ und erster Vorsitzender des Verwaltungsrates (Ulrich Seite 56 und 69). Wie seinerzeit selbstverständlich war er auch Stadtverordneter, 1888 Beigeordneter der Stadt Viersen.

Ein herrschaftliches Wohnhaus für sich und seine Familie ließ Greef wohl in der 1860er Jahren in spätklassizistischen Formen an der Hauptstraße bauen. 1871 entstand an der Gladbacher Straße eine neue Villa für seinen Sohn Paul Friedrich Wilhelm Greef jun. (1845-1913), der 1869 Sophie Furmans geheiratet hatte und ab 1.7.1872 als zweiter Gesellschafter neben seinem Vater in der Leitung der Firma fungierte (Kölnische Zeitung 5.7.1872, 3. Bl.); ab 1896 führte er allein die Fabrik, deren Gebäude sich ebenfalls seit 1872 an der damaligen Kirchstraße, etwa an Stelle der heutigen Realschule befanden. Auch Greef jun. war darüber hinaus vielfältig im öffentlichen Leben der Stadt präsent, unter anderem ebenfalls als Beigeordneter (siehe unter anderem Nachruf Viersener Zeitung 27.3.1913).
Die Villa (zuletzt Gladbacher Straße 64) war eingebettet in einen umfangreichen parkartigen Garten im landschaftlichen Stil; ein weithin bekanntes Foto der Gartenansicht gehört zu den ikonischen Darstellungen einer Viersener Fabrikantenvilla dieser Zeit. Nördlich an ihr vorbei führte eine Allee von der Gladbacher Straße zu den Fabrikgebäuden. Gewissermaßen als Entree zu dieser Allee, mit den Remisen dann rückwärtig an ihr entlang angelegt, wurde 1897 das Kutscherhaus errichtet, quasi als Abschluss einer größeren Baumaßnahme, bei der circa 1893 bereits die Villa umgebaut und erweitert worden war.

Entsprechend der Bedeutung dieses Areals war und ist auch das Kutscherhaus, nach Entwurf des seinerzeit wohl wichtigsten Baugeschäftes der aufstrebenden Industriestadt, mit der auffallenden Ziegelfarbigkeit und seinen Schmuckdetails ungewöhnlich aufwändig gestaltet. Es besitzt daher als letzter baulicher Rest des Greef-Anwesens nicht nur hohen Zeugniswert für die Orts- und Wirtschaftsgeschichte Viersens, sondern auch für die Architekturgeschichte der Stadt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Es handelt sich um ein für den Bautyp ungewöhnlich qualitätvoll gestaltetes Gebäudeensemble, das damit sicher auf die benachbarte zugehörige Villa Bezug nahm und sich ihr anpasste. Stilistisch repräsentiert es den in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr typischen neubarocken Stil mit charakteristischen Schmuckformen, der für herrschaftliche Gebäude dieser Zeit als angemessen galt. Im Sinne des Denkmalschutzgesetzes bestehen für die Erhaltung und Nutzung künstlerische Gründe.
 

Von Bedeutung sind außerdem wissenschaftliche Gründe. Die gut und anschaulich erhaltenen Bauten sind doch geeignet, als materielle Quellen für die Erforschung der Ge-schichte des relativen seltenen Bautyps und für die Baugeschichte von Viersen im ausgehenden 19. Jahrhundert zu dienen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Kutscherhaus auf dem ehemaligen Greef-Anwesen an der Hauptstraße (1903, Bauherr Peter Kaiser), mit dem Viersen noch ein zweites Beispiel von hohem Aussagewert für dieses Gebäudegenre besitzt. Insbesondere der intakte Zusammenhang von Wohn-haus, Remisen- und Stallteil, Hof und partiell erhaltener Einfriedung im Zusammenspiel mit der vorbeiführenden Allee führt Zweck und Funktion des Bautyps klar vor Augen. Hinzu kommen die oben angegebenen orts- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekte, für deren Erforschung und Darstellung das Kutscherhaus als letzter Gebäuderest des bis in die 1960er Jahre bestehenden, bedeutenden Greef-Anwesens an Gladbacher- und Kirchstraße herangezogen werden kann, wie bereits erschienene Veröffentlichungen auch bereits belegen.

Das ehemalige Kutscherwohnhaus mit rückwärtiger Remise und Stallungen einschließlich der Einfriedung entlang der Allee ist ein Baudenkmal gemäß §2 Denkmalschutzgesetz NRW. Es ist bedeutend für Städte und Siedlungen. Seine Erhaltung und Nutzung liegen aus wissenschaftlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen im Interesse der Allgemeinheit.

Quellen

  • Ortstermin 11.03.2025
  • Kreisarchiv Viersen (Bestand StA VIE):
    • I 6 Viersen ab 1970 Nr 3950 - Fabrikgebäude Greef Kirchstr, 39 Abbruch
    • I 6 Viersen ab 1970 Nr 12331 - Abbruchakten An der Josefskirche 2 (vormals Kirchstr. 5 und 39)
    • S 2C Karten und Pläne Stadt Viersen Nr 1482 - Haus Viersen, Gladbacher Str. 64 Greef
  • Jochem Ulrich: Industrie und Gesellschaft am Niederrhein (= Schriftenreihe des Kreises Viersen 36). Köln (Pulheim) 1986
  • Viersen im Wandel der Zeiten (Viersen. Beiträge zu einer Stadt 44), Viersen 2014, Seite 222 f.
     

Stand

23.04.2025
LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Dr. M. Kieser